Zur Verteidigung der Kartoffel

Subtil wie Till Schweiger: Wider die Knollenpopulistin und Granata Germaniae Veronica Ferres

Äußerst schmackhaft ist die Kartoffel. Einst kam sie aus Übersee zu den Deutschen. Wacker verzehrten sie die neue Knolle, erwiesen sich aber als wenig dankbar: Bis heute wird die Kartoffel mannigfaltig massakriert und missbraucht, als Pfanni-Krokette, in Form von Tiefkühl-Pommes-Frites, als uninspiriert wassermatschig zerkochte Salzkartoffel, als palettenweise in Zehnkiloeimer hineingepröteter Kartoffelsalat. Keines dieser Verbrechen wurde je gesühnt. Die Täter sind auf freiem Fuß. Und lachen, als hießen sie Feistus Raclettus.

Noch ärger sogar als ihre kulinarische Hinrichtung ist die Verhöhnung, die der Kartoffel durch die aufdringlichste und möchtegernigste ihrer Repräsentantinnen widerfährt: Veronica Ferres. Die Schauspielerin, in ihrem Beruf etwa so vielschichtig wie ihr Kollege Till Schweiger, wuchs als Tochter eines Solinger Kartoffelhändlers auf – und nimmt das pausenlos zum Anlass für volkstümelnd peinliche Anbiederung. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit kartoffelt Veronica Ferres die Mikrofone zu: Am Marktstand ihres Bruders in Solingen, das erzählte sie zum x-ten Mal auch der nach debil mobil klingenden Bahnzeitschrift DB mobil, stehe sie „gerne und so oft ich kann.“ In der PR-Welt der Veronica Ferres ist eben jede Woche Kartoffelernte, und den Markt besingt sie als einen „Kontrast zur Schnelllebigkeit der Supermärkte.“ Ja, diese Supermärkte: unglaublich schnelllebig! „Live fast, die young!“, rief Lidl, der junge wilde Supermarkt, und stieg auf sein frisiertes Rebellenmofa. Und Penny ging zum Regenbogen, aaah …

Auch für Veronica Ferres gilt das Diktum von Karl Kraus: „Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben. Man muss auch noch unfähig sein, sie auszudrücken.“ Nicht wenige Penisverpömpler im Land aber mögen das und finden’s top-erotisch, wenn Mutti eher simpel gestrickt ist – möglicherweise in der trügerischen Hoffnung, die eigenen Defizite fielen dann weniger auf. Laut Umfragen möchten drei Viertel aller deutschen Männer liebend gern Veronica Ferres beschlafen. Warum? Ist die Not wirklich so groß? Man steckt nicht drin, auf jeden Pott passt ein Deckel, und auf Veronica Ferres eben eine ganze Deckelfabrik. Das wäre völlig gleichgültig, würden in diesem Ferres-Topf nicht auch unschuldige Kartoffeln mitgegart. Dabei könnte nach Veronica Ferres nur eine Kartoffelsorte benannt werden, die allerdings im Genlabor erst ausgeheckt werden müsste: die gleichsam fleischsalatig vor sich hin quasselnde Granata Germaniae.

Als Gratin oder Brei, als Pell-, Brat- oder Stampf-, als Béchamel- und Herzogin-, aß ich unzählige Kartoffeln, und alle waren sie weit subtiler, als Veronica Ferres es je sein könnte. In den eigenen Worten der bekennenden und bekehrenden Weltnichtraucherin klingt das so: „Meine Haut ist ganz fantastisch geworden.“ Oder so: „Ich kann mit jedem Klischee leben.“ Kann ist kühn gesagt, wenn man muss. Die ganze Bandbreite von A bis B beherrschen und daraus Selbstbewusstsein schöpfen, das ist die Kunst des schlichten Lebens.

Von deren Gegenteil, der Kunst des tief-einfachen Lebens, wusste der Dichter Joachim Ringelnatz sehr viel. In seiner Liebeserklärung an die Pellkartoffel, „Abschiedsworte an Pellka“, hymnete er:

Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde, / Du Ungleichrunde, / Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte, / Du Vielgequälte, / Du Gipfel meines Entzückens. / Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens / Mit der Gabel! – Sei stark! / Ich will auch Butter und Salz und Quark / Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen. / Musst nicht so ängstlich dampfen. / Ich möchte dich doch noch einmal erfreun. / Soll ich Schnittlauch über dich streun? / Oder ist dir nach Hering zumut? / Du bist ein so rührend junges Blut. – / Deshalb schmeckst du besonders gut. / Wenn das auch egoistisch klingt, / So tröste dich damit, du wundervolle / Pellka, dass du eine Edelknolle / Warst, und dass dich ein Kenner verschlingt.

Kein PR- und Schischischreiber, und wäre die Bestechungsgage auch noch so hoch, könnte so etwas Fein-Wahres dichten über die zwar ihrerseits kartoffelige, vor allem aber – und das muss man sich einmal bildlich vorstellen – die Kartoffel zum Transmissionsriemen ihres Populismus herunterwirtschaftende Frau Ferres. Und ich, Freund der Kartoffel, täte das ohnehin nicht. Zu keiner Kartoffel würde ich je Veronica sagen – nicht einmal, wenn sie keimte.

WIGLAF DROSTE