Adelsschlag für das Adrenalinbündel

Der Australier Lleyton Hewitt schwingt sich mit dem Wimbledon-Sieg endgültig zum Dominator des Männertennis auf

„Ich habe gegen die Zukunft des Tennis gespielt“, sagte ein beeindruckter Boris Becker, nachdem er vor drei Jahren bei seinem letzten Auftritt in Wimbledon gegen den jungen Australier Lleyton Hewitt gewonnen hatte. Spätesten seit Sonntag ist die Zukunft Gegenwart. Als erster Australier seit Pat Cash 1987 gewann der mittlerweile 21-jährige Hewitt Wimbledon, er tat dies beim 6:1, 6:3, 6:2 gegen den Argentinier David Nalbandian mit der dominantesten Vorstellung, seit John McEnroe 1984 Jimmy Connors mit 6:1, 6:1, 6:2 demütigte. Und er ist der erste Grundlinienspieler seit Andre Agassi 1992, der im Londoner Vorort triumphierte. Wer es schafft, mit dieser Spielweise die Galerie der Aufschlagprügler von Sampras über Safin bis Henman hinter sich zu lassen, der hat bewiesen, dass er wirklich Tennis spielen kann.

Was Boris Becker 1999 aber noch mehr imponiert hatte als die Spielstärke des Australiers, war dessen Kampfeswille, der ihn gelegentlich glauben ließ, ihm stünde seine jüngere Inkarnation gegenüber. In der Tat ist Lleyton Hewitt an guten Tagen eine explosive Mischung aus Andre Agassi und Boris Becker, wenn auch von seinem Spiel her wesentlich unspektakulärer als die beiden Vorbilder.

Mit seinem unbändigen Temperament hängt es auch zusammen, dass es überhaupt drei Jahre dauerte, bis Hewitt, der die Nummer eins der Welt ist, im letzten Jahr bereits die US Open und danach den Masters-Cup gewann, jene Spitzenstellung im Tennis erreichte, die er am Sonntag mit dem Adelsschlag, dem Wimbledon-Sieg, krönte. Als 16-jähriges Wunderkind hatte er in Adelaide sein erstes Turnier gewonnen und das Heimatland, das nach neuen Triumphatoren in einem seiner Nationalsportarten gierte, in einen an die hiesige Beckermanie gemahnenden Taumel der Verzückung versetzt. Danach stand er sich jedoch oft selbst im Wege. Mit seiner rüden Art auf und neben dem Platz verprellte er das Publikum, die heimischen Tennisfans und etliche Tenniskollegen. Sein adrenalingesättigtes Spiel geriet dabei oft aus den Fugen, wenn es nicht nach Wunsch lief.

Auch jetzt sind Hewitts Auftritte noch Festivals des lautstarken Vorsichhinfluchens und aggressiven Fäusteballens in alle Richtungen, inklusive der des jeweiligen Gegners. Mittlerweile funktioniert die Inszenierung, ähnlich wie einst bei Becker und McEnroe, jedoch zu seinen Gunsten, wie etwa im Viertelfinale gegen den Niederländer Sjeng Schalken, der ihn am Rande einer Niederlage hatte. „Am Ende hat er besser Tennis gespielt, aber ich hatte den Kampfgeist“, urteilte Hewitt nach dem Fünfsatzsieg. Wohl der Hauptgrund, warum er in Wimbledon das schaffte, woran sein bewunderter Landsmann Pat Rafter mehrfach überaus knapp gescheitert war – und das bei einem Turnier, aus dem die Favoriten nur so hinauspurzelten, Zeichen dafür, dass das Männertennis nicht gerade in einem Hoch steckt.

Die einzigen Topgesetzten, die durchhielten, waren Hewitt und der ewige Tim Henman. Der warme Applaus, den der Australier erhielt, nachdem er im Halbfinale Englands Darling böse ausgespielt hatte, war vielleicht die größte Errungenschaft des Australiers in diesen 14 Tagen. „Am Ende kam mir der Ball so groß vor wie ein Fußball“, sagte Hewitt nach dem Match. Dass ein Engländer unter diesen Umständen keine Chance hat, liegt auf der Hand. MATTI LIESKE