Zeitlos und aktuell

Vor 40 Jahren stiftete Hermann F. Reemtsma das Ernst Barlach Haus im Jenischpark. „Kunst, die mich angeht“ ist Grundlage seiner Rezeption der Barlach-Werke und zugleich das Motto der Feierlichkeiten

von HELENE BUBROWSKI

Der Besucher betritt das schlichte, fensterlose Barlachhaus im Jenischpark. Der Blick fällt sofort auf den Fries der Lauschenden. Von diesen aus tut sich eine neue Sichtachse auf: Der lebensgroße Moses wird von oben beleuchtet. Gleich gegenüber Das Wiedersehen. „Diese Figuren sind die Herzstücke der Sammlung“, erklärt der Museumsleiter Sebastian Giesen. „Der Architekt Werner Kallmorgen hat das Haus eigens für sie entworfen. Es wurde quasi um sie herum erbaut.“

Hermann F. Reemtsma hat den 1938 verstorbenen Ernst Barlach noch persönlich kennengelernt. Der Zigarettenfabrikant hatte diverse Werke erworben. Vor genau 40 Jahren übergab er seine Sammlung der Öffentlichkeit. Das Privatmuseum sollte ein „Haus für Ernst Barlach, seine Werke und deren Erforschung und Vermittlung“ sein.

In den ersten Jahren war die Außenwirkung eher bescheiden. Dass es einmal ein „etablierter Kunstbetrieb“ werden würde, hatte sich der erste Museumsleiter Hugo Sieker wohl nicht träumen lassen. Heute kann das im Jenischpark in Othmarschen gelegene Museum zwischen 20.000 und 30.000 Besucher pro Jahr verzeichnen.

Ernst Barlach, der eigenwillige und facettenreiche Bildhauer, Zeichner und Schriftsteller, ist mehr als ein Ausschnitt deutscher Kunstgeschichte. „Barlachs Aktualität kann sich nicht überleben“, so Giesen, „denn er verbildlicht zeitungebundene Zustände.“ Die Interpretation der Plastik Mann im Stock beispielsweise gelte heute genauso wie nach dem Ersten Weltkrieg: Der Mensch kann sich nicht frei bewegen. Auch die Demokratie begrenzt die Freiheit.

Andererseits sei die Zeitlosigkeit auch eine Schwäche, so der Kunsthistoriker. Denn Barlachs Kunst sei „ohne konkrete aktuelle Brisanz“. Im Gegensatz zu Käthe Kollwitz sei er nicht „politisch“ und schon gar nicht „tagespolitisch“ gewesen. Die Faszination für diesen widersprüchlichen Künstler ist allerdings ungebrochen. Der Versuch, ihn einer Kunststilrichtung zuzuordnen, scheitert immer wieder. Die DDR beispielsweise feierte ihn als Antifaschisten, obwohl seine Kunst in den sozialistischen Realismus nicht hineinpasst.

In den vergangenen 40 Jahren konnte die Hamburger Barlachstiftung zahlreiche Werke aus privatem Besitz für das Museum erwerben. Die neueste Anschaffung ist die Holzplastik Der Dorfgeiger von 1913.

Das Museum bietet jedoch weit mehr als die Dauerausstellung. „Die Popularität des Hauses hängt von der Kontinuität der Sonderausstellungen ab“, betont Giesen. Seit 1965 zeigt das Museum auch Werke anderer Künstler, die einen Bezug „entweder zu Barlach oder zum Haus“ haben, wie auch die aktuelle Ausstellung „Im Auftrag des Impressionismus – Max Liebermann im Jenischpark“, die noch bis Ende August zu sehen ist. Anlässlich des Jubiläums zeigt das Museum von September bis November seine Sammlung barlachscher Zeichenkunst.

Für den Museumsleiter ist ein vielfältiges Angebot wichtig: Die Konzertreihe Klang&Form, in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater, hat sich fest etabliert. In Zusammenarbeit mit der Barlach Gesellschaft werden im Herbst Aufführungen und Lesungen von Barlachs Dramen stattfinden.

„Kunst, die mich angeht.“ Reemtsmas Worte sind Motto des 40-jährigen Jubiläums. Barlachs Mäzen, der noch vor der Eröffnung des Hauses verstarb, wollte Kunst mit einem direkten Bezug zum Menschen. Auf große Namen kam es ihm nicht an. Und doch hat er sie hervorgebracht.

Infos zum Programm unter Tel. 040 - 82 64 15 oder www.barlach-haus.de