: Kulturerbe gegen Höchstgebot
Frankreichs Intellektuelle warnen vor Ausverkauf bei Vivendi-Universal. Neuer Milliardenkredit bewilligt
PARIS taz ■ Eigentlich steckt Vivendi Universal, der weltweit zweitgrößte Medienkonzern, in einer tiefen Krise. Er soll – inklusive seiner Versorgungssparte Vivendi Environnement – rund 35 Milliarden Euro Verlust „erwirtschaftet“ haben. Es gibt das Gerücht, seine Bilanzen seien gefälscht. Und die Aktienkurse bröckeln schon seit Monaten – lediglich von gelegentlichen Senkrechtabstürzen unterbrochen. Dennoch stehen die Aufkauf-Interessenten Schlange vor dem Unternehmen.
Seit in der vergangenen Woche Jean-Marie Messier, der Chef des Multis, gehen musste und durch einen anderen französischen Spitzenmanager, Jean-René Fourtou, ersetzt wurde, hoffen sie auf eine Zerschlagung des Multis, der in 100 Ländern rund 380.000 Menschen beschäftigt. Auch die französischen und US-amerikanischen Banken, die sich in den Tagen und Wochen vor dem Messier-Rausschmiss demonstrativ Sorge um den „maroden“ Konzern gemacht hatten, sind nun bereit, überraschend große neue Kreditlinien zu bewilligen. Am Montag gab es bereits eine Milliarde Euro. Über weitere 3,5 bis 3 Milliarden wird verhandelt.
Der Grund für die Begehrlichkeiten: Vivendi Universal bietet etwas für fast jeden Spekulantengeschmack – von der kommunalen Wasserversorgung in weiten Teilen Frankreichs und zahlreichen Großstädten der ganzen Welt, inklusive Berlin, über TV-Sender sowie Film- und Musikproduktion bis hin zum zweitgrößten mobilen Telefonnetz Frankreichs.
Begehrtes Canal +
Um die Schuldenlast zu senken, gilt mittlerweile als sicher, dass sich Fourtou von einzelnen Teilen des Mischkonzerns trennen wird. Die deutlichste Nachfrage neben der Mobiltelefonie, um die sich die britische Vodafone bemüht, ist beim 1984 gegründeten Pay-TV Canal + zu verzeichnen. Auch wenn die Plattform in den vergangenen Jahren konsequent rote Zahlen geschrieben hat. Die Interessentenliste reicht vom größten französischen TV-Sender TF-1 über die Lagardère-Gruppe und den aufsteigenden Privatsender M-6 bis hin zur Bertelsmann-Tochter RTL-Group.
Canal + verfügt nicht nur über die einzige Pay-TV-Sendelizenz Frankreichs, sondern auch über eine große Abonnentenkartei sowie einen Filmkatalog mit 9.000 Titeln. Allerdings bleibt der Kanal bis ins Jahr 2004 verpflichtet, einen großen Teil seiner Einnahmen in die französische Filmproduktion zu stecken.
Absichtsbekundungen
Trotz aller Begehrlichkeit bleibt es vorerst bei Absichtsbekundungen. Der neue Vivendi-Chef Fourtou ist bislang noch damit beschäftigt, Kredite einzuholen und das Chaos zu sichten. Erst im nächsten Schritt wird er entscheiden, welche Aktiva abgestoßen werden. Die Banken und die Börsenspezialisten drängen ihn, schnell zu handeln. Zugleich bescheinigen sie ihm – im Gegensatz zu der aufgeregten Gerüchteküche der vergangenen Woche – dass Vivendi insgesamt durchaus solvent sei.
„Aufmerksam“ verfolge auch die französische Regierung das Geschehen, erklärte ihr Sprecher Copé. Französische Künstler und Schriftsteller hoffen, dass Kulturminister Aillagon notfalls interveniert, um den Verkauf von Buchverlagen wie Robert Laffont oder Larousse an Nicht-Franzosen zu verhindern. Serge Eyrolles, Sprecher einer Verlagsgewerkschaft, bezeichnete diese Verlage als „Teil des nationalen Kulturerbes“. Und erinnert daran, dass es „Jahrhunderte“ gedauert habe, diesen „intellektuellen Reichtum zu schaffen“.
Mit der erwarteten Zerschlagung von Vivendi wird der neue Konzernchef Fourtou in die Gegenrichtung seiner Vorgänger gehen. Die hatten seit 1986 systematisch und weltweit eingekauft und diversifiziert. Zu dem rasanten Aufstieg des einstigen französischen Wasser-Konzerns zum weltweiten Multi gehörte 1998 die Umbenennung in Vivendi und im Dezember 2.000 die Fusion mit dem US-Medienunternehmen Universal.
Damals mahnten viele in Unternehmen von Vivendi vor den Gefahren einer solchen Gigantenhochzeit, deren einzige Raison d’être die Börse war. Nur eineinhalb Jahre danach müssen die Beschäftigten von Vivendi-Universal jetzt die Zerschlagung ihres Unternehmens befürchten.DOROTHEA HAHN
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