zoologie der sportlerarten
: PROF. HIRSCH-WURZ über den Schiedsrichter

Der Depp ist der Exoticus

Der Homo pfifficus ist ein sehr einsamer Mann. Er hat niemanden außer seinen beiden Assistenten – und das sagt ja wohl alles. Wer möchte schon sein Leben mit zwei nicht mehr ganz jungen Herren verbringen, die unter ausgeprägter Sehschwäche leiden und nichts weiter gelernt haben, als entschlossen mit einem Fähnchen zu wedeln, was sie dann auch bei jeder unpassenden Gelegenheit tun. Den Homo pfifficus haben sie dabei komplett unter ihrer Fuchtel, er tut alles, was sie von ihm wollen, selbst wenn es sich um den größten Unsinn handelt.

Noch mehr als von seinen als angebliche Helfer getarnten persönlichen Tyrannen lässt sich der Homo pfifficus von den so genannten Fußballern herumschubsen. Ungefähr hundertmal pro Spiel rufen sie ihn, je nach sprachlicher Herkunft, „Arschloch, faggot, hijo de la puta, imbecile, crampon oder kuso shite shinezo“. Das alles hört er aber kaum, weil er ja nicht nur blind, sondern auch meistens taub ist. Und weil auch der Homo pfifficus wedelensis, sein Assistent, nichts angezeigt hat, weil er, wie immer, nicht dahin schaute, wo gerade was los war, lächelt er den Wortführer freundlich an, gibt ihm einen humorvollen Klaps auf den Culo und lässt weiterspielen. Es sei denn, er heißt Collina. Dann schaut er den Spieler einmal intensiv an und danach ist der blind und taub.

Das Publikum liebt den Homo pfifficus insgeheim, weil es ihm ja die Schuld an allem geben kann, was ihm nicht passt, außer vielleicht an der Versitzplatzung, den hohen Bratwurstpreisen und Leo Kirch. Auch die Trainer sind heilfroh, dass es den Schiedsrichter und seine zwei Linienwusel gibt, die sich so prachtvoll als Sündenböcke eignen. „Zu diesem Herrn sage ich lieber nichts“, ist eine ihrer Lieblingsselbstreinwaschungen, mit der sie dann glauben, aus dem Schneider zu sein. Eine trügerische Hoffnung, denn an Sündenböcken können die Leute niemals genug bekommen, was während und nach der letzten Weltmeisterschaft bereits 18 Vertreter der coachenden Zunft zu spüren bekamen.

Im Grunde wäre der Homo pfifficus ja gern Rockstar geworden, vielleicht auch ein großer Pianist, ein berühmter Politiker oder wenigstens böser Bube beim Catchen. Weil das aber alles nicht geklappt hat, betreibt er das Gewerbe des Schiedsrichters als letzten Ausweg, die Aufmerksamkeit von Millionen ganz allein auf sich ziehen zu können. Das klappt wunderbar, vor allem bei Weltmeisterschaften, wo besonders der Homo pfifficus europeus eine große Zeit erlebt. Während er das ganze Jahr daheim als Niete, Pfeife, Schwachkopf und Blindhuhn verspottet wird, gilt er dort plötzlich als großer Meister seiner Kunst. Das liegt daran, dass bei diesen Turnieren auch der Homo pfifficus exoticus in größeren Mengen auftaucht. Der liegt ja zu Hause bekanntlich nur den ganzen Tag in der Hängematte herum, gießt die Pampa und pfeift höchstens mal das Finale irgendeiner Kralmeisterschaft, weshalb ihm nun alles viel zu schnell geht. Wird statistisch nachgewiesen, dass der Homo pfifficus europeus genauso oft an den Skandalen beteiligt ist wie seine überseeischen Artgenossen, zum Beispiel, wenn er vor lauter Euphorie plötzlich mehr bunte Karten aus dem Ärmel zaubert als der gewiefteste Falschspieler von Dodge City, wird höchstens kurz gestutzt, bevor man sich schnell wieder darauf einigt: Der Depp ist der Exoticus.

Leider muss der Homo pfifficus nach solch glamourösen Auftritten wieder zurück ins heimische Land der Schwalben, Ellbogenchecks und Trikotzupfer, wo man ihn keineswegs aufgrund seiner internationalen Verdienste in Ehren hält, sondern wie üblich von Herzen verdammt. Zum Ausgleich sucht er sich dann artverwandte Berufe wie Verwaltungsangestellter oder Zahnarzt. „Noch ein Wimmern und sie sehen rot“, herrscht er dann bohrerschwingend die Patienten an, während die Assistentin daneben steht und mit einem kleinen Fähnchen wedelt. So stellen wir uns das hier im Institut jedenfalls vor.

Wissenschaftliche Mitarbeit:

MATTI LIESKE

Fotohinweis:Holger Hirsch-Wurz, 33, ist ordentlicher Professor für Humanzoologie am Institut für Bewegungsexzentrik in Göttingen.