„Es waren die polnischen Nachbarn“

Das Institut des Nationalen Gedenkens legt seinen Abschlussbericht zum Pogrom von Jedwabne vor

WARSCHAU taz ■ Im ostpolnischen Jedwabne haben 1941 nicht die deutschen Nazis, sondern christliche Polen ihre jüdischen Nachbarn ermordet. Zum 61. Jahrestag des Pogroms vom 10. Juli 1941 stellte das Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) das Ergebnis seiner fast zwei Jahre dauernden Ermittlungen vor.

Wörtlich sagte Chefermittler Radoslaw Ignatiew: „Es waren Polen, die die entscheidende Rolle bei der Ermordung der Juden von Jedwabne spielten.“ Das Massaker, bei dem vor über 60 Jahren Hunderte von jüdischen Männern, Frauen und Kindern erschlagen oder in einer Scheune bei lebendigem Leib verbrannt wurden, sei allerdings von den deutschen Besatzern „inspiriert“ worden. Zwar habe sich keiner der Zeitzeugen an einen entsprechenden „Befehl“ erinnern können, doch die deutsche Feldgendarmerie in Jedwabne habe dem Mordtreiben tatenlos zugesehen. Ohne die „deutsche Erlaubnis zum Mord“ aber wäre es nie zum Pogrom gekommen, ist Ignatiew überzeugt. Schuldig im strafrechtlichen Sinne seien daher „in sensu largo“ die Deutschen, die zum Mord an den Juden Jedwabnes anstifteten, und „in sensu strictu“ die Polen, die den Massenmord am Ende ausführten. Dennoch wird das IPN keine Anklagen gegen die Täter erheben. Zum einen seien etliche der polnischen Täter schon vor polnischen Gerichten angeklagt und zum Teil auch verurteilt worden. Zum anderen sei es jetzt nicht mehr möglich, zweifelsfrei festzustellen, wer von den Tätern was, wie und wo getan habe.

Bei den Deutschen wiederum, so erklärte Ignatiew in Bialystok, dem für Jedwabne zuständigen Gerichtsort, sei es nicht möglich gewesen, die oder den Anstifter auch nur namentlich zu ermitteln. Der in Verdacht geratene Hermann Schaper, den Zeitzeugen zwar im Nachbarstädtchen Radzillow gesehen hatten, aber eben nicht in Jedwabne, konnte nur als Zeuge verhört werden. Die Verdachtsmomente gegen den ehemaligen SS-Hauptsturmführer reichten nicht aus, um nur einen strafrechtlich relevanten Tatverdacht zu formulieren.

Leon Kieres, der von polnischen Nationalisten angegriffene Direktor des IPN, erklärte am 61. Jahrestag des Pogroms im Radio: „Wir haben alles getan, um die Wahrheit herauszubekommen. Wir haben 22 Monate ermittelt, 98 Zeugen vernommen, darunter sechs im Ausland, eine Exhumierung in Jedwabne vorgenommen, Expertisen über die dort gefundenen Patronenhülsen eingeholt, in polnischen und deutschen Archiven recherchiert – mehr kann man nicht tun.“

Mit dem Ende der Ermittlungen scheint aber nicht das Ende der Debatte da zu sein. Zwar musste die konservative Rzeczpospolita etwas kleinlaut Abschied von ihrer These nehmen, dass Hermann Schaper der Hauptverantwortliche für das Pogrom in Jedwabne war. „Es waren doch die Nachbarn“, titelt sie. Doch der katholische Nasz Dziennik bleibt trotzig bei seinem Vorwurf der „Lüge“, die der „antipolnische Autor Jam Tomasz Gross“ über Polen verbreiten würde. Spätestens im Herbst, wenn das Weißbuch über Jedwabne erscheint, wird die Diskussion erneut aufflammen. GABRIELE LESSER