Wo bleibt die Wut?

Das ZDF und 3sat kümmern sich in „Akte E.“ um Nachhaltigkeit – etwas zu abgeklärt, um deutlich zu machen, dass es ums schiere Überleben geht

von BERNHARD PÖTTER

„Und was heißt das nun für Johannesburg?“ Kurz vor Ende der Sendung hat Moderator Volker Angres die entscheidende Frage noch untergebracht. Als Antwort: ein Satz. Vielen Dank. Abspann. Die zweite Folge von „Akte E. – Die Zukunft des Planeten“ ist vorbei. Es ging um nachhaltige Stromversorgung. Aber der Funke sprang nicht richtig über.

Vielleicht liegt es am fehlenden Widerstand. Denn das Thema „nachhaltige Entwicklung“ lässt sich dehnen wie ein Gummiband, und wenn man nicht will, braucht man niemandem weh zu tun. Da sind sich die Studiogäste Fritz Vahrenholt, ehemals Shell-Vorstand und nun Windanlagenbauer, und Peter Knoedel von der Deutschen BP einig: Den erneuerbaren Energien gehört die Zukunft, Unternehmen haben eine Verantwortung für saubere Produkte und wir brauchen „technologische Quantensprünge“. Dazu Filme über leise Windkraftanlagen und den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. In seltsamem Kontrast dazu stehen die Bilder von qualmenden Schornsteinen und spritfressenden Autos.

Die Bilder sagen: Die Lage ist dramatisch. Die Worte sagen: So schlimm wird’s schon nicht. Mit souveräner Geste machen sich ZDF und 3sat in der Reihe „Akte E.“ frei vom Diktat der Bilder und lassen Studiogäste sprechen. Sie gehören zu den wenigen Leitmedien Deutschlands, die begriffen haben, dass der anstehende UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung im August im südafrikanischen Johannesburg von großer Bedeutung ist. Die fünfteilige Serie zu Artenvielfalt, Energie, Wasser, Landwirtschaft und Armut besetzt die wichtigsten Themen der Konferenz. Eine Definition des Begriffs „Nachhaltigkeit“ sucht sie jedoch vergebens.

Dafür hakt Moderator Angres vorbildlich nach, wenn seine Studiogäste wie Landwirtschafts-Staatssekretär Mathias Berninger ins Politikerdeutsch verfallen („Was heißt Doha? Das müssen Sie erklären!“). Angres war beim UN-Gipfel in Rio. Da bringt ihn Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul nicht aus dem Konzept, auch wenn sie beim Thema „Kampf ums Wasser“ redet wie ein Wasserfall.

Eine Luxusdebatte

Da wird dann auch zwischendurch deutlich, wie existenziell bedrohlich, wie alltäglich und niederschmetternd nichtnachhaltige Politik ist. In den Slums von Mexiko-City stehen die Frauen den ganzen Tag für Trinkwasser an, während die Reichen damit ihre Gärten wässern. Die Felder der Palästinenser in der Westbank können nur spärlich benetzt werden, während nebenan die israelischen Siedlungen sechs Mal so viel kostbares Wassers auf ihren Feldern vergeuden. Bilder von der Intifada, Interviews – noch keine Wasseraufstände, aber die Verbitterung über den Diebstahl der wichtigsten Ressource. Doch von der Dringlichkeit des Problems ist wenig zu spüren, wenn im gleichen Film die Frage diskutiert wird, ob in Deutschland die Wasserversorgung privatisiert werden soll – eine Luxusdebatte angesichts der Milliarde Menschen, die für Trinkwasser alles gäben.

Auch beim Thema „Landwirtschaft“ wird viel Interessantes über die deutsche Ernährung berichtet. Haben die Ökolebensmittel im Supermarkt seit dem Nitrofen-Skandal ihre Unschuld verloren? Wie sieht ein Warenkorb für nachhaltigen Konsum aus? Aber reicht es, fair gehandelten Kakao zu kaufen, um zu verhindern, dass täglich 24.000 Menschen verhungern?

„Akte E.“ ist in Zusammenarbeit mit dem Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung entstanden. Das sorgt für Fachkompetenz. Aber es bringt auch genau die professionelle Abgeklärtheit, die das Thema nachhaltige Entwicklung in Deutschland zu einem bürokratischen Ladenhüter macht. Nach den fünf Folgen sind die Zuschauer über den Stand der Debatte informiert. Aber sie haben keinen Eindruck davon bekommen, mit welcher Wut und welcher Entschlossenheit in den Hinterzimmern von Johannesburg und in den Slums von Bombay um den Zugang zu Wasser, Strom und Lebensmitteln gerungen wird.

3sat zeigt „Akte E – Die Zukunft des Planeten“ jeweils sonntags um 19.10 Uhr