„Intecreation statt Integration“

Der Niederländer Coskun Cörüz (38) über seine Mitgliedschaft bei den Christdemokraten, über Milli Görüs und die Chancen der „Dritten Generation“

taz: Herr Cörüz, was hat Sie als Muslim bewegt, der christlich-demokratischen Partei der Niederlande beizutreten?

Immer wenn Wahlen anstehen, werden wir gefragt: Warum gründet ihr keine islamische Partei? Das wäre aber überhaupt nicht vernünftig. Eine solche Partei würde sich nur noch um Migrationsthemen kümmern, und die großen Parteien würden sich von dem Thema verabschieden. Ich diskutiere lieber – mit meiner Partei, aber auch mit anderen Muslimen.

Sie sind Parlamentsabgeordneter einer Partei, die gerade eine Koalition mit der Liste Pim Fortuyn eingegangen ist. Pim Fortuyn hat einige unfreundliche Bemerkungen über den Islam gemacht. Wie gehen Sie damit um?

Unser Parteichef hat vor den Koalitionsverhandlungen gefordert, dass die Fortuyn-Liste diese Äußerungen in der Form zurücknimmt. Das hat sie. Ich denke, dass auch solche Missverständnisse der Beginn eines Dialoges sein können. Das ist Demokratie, man überzeugt einander.

Sie betonen stets, dass Ihre Generation entscheidend ist, dass die erste Migrantengeneration die Integration nicht vorantreiben kann.

Das ist eine harte Schlussfolgerung, aber es stimmt. Wenn ich mich entscheiden muss, ob ich in alle investiere oder in die jungen Migranten, dann wähle ich die Jungen.

Und Sie sagen auch, dass Sie das Wort „Integration“ gar nicht so gerne mögen …

Wir sagen lieber „Intecreation“. Das drückt besser aus, dass etwas Neues, Aufregendes von den jungen Migranten entwickelt wird. Eine neue Identität, die es vorher nicht gab. Am Freitag gehen wir erst in die Moschee, danach zu einer Party. Wir kombinieren unsere Identitäten. Besonders in Deutschland fällt es allen Seiten schwer, dies als Gewinn zu erkennen. Heutzutage werden Manager für viel Geld zum interkulturellen Training geschickt. Ich sage: Nutzt doch unsere Kompetenz!

Ein Problem in Deutschland ist, dass die größte muslimische Organisation, Milli Görüs, sich immer wieder undurchsichtig gibt. Viele Politiker wollen deshalb nicht mit Milli-Görüs-Vertretern sprechen. In den Niederlanden, heißt es, habe Milli Görüs sich zu einer offenen und integrationswilligen Bewegung gewandelt.

Wenn man sie immer nur als kriminell in die Ecke stellt, werden sie sich nicht ändern. Das haben wir bei uns erlebt. Es ist schwierig, aber man muss einen Dialog führen. Sonst kann man der anderen Seite nicht mitteilen, was sie falsch macht.

Milli Görüs in Deutschland ist aber leider nicht nur an Integrationspolitik interessiert.

Man muss zu solchen Gruppen sagen: Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr verlieren. Wenn ihr euch aber verändert, könnt ihr an Entscheidungen teilhaben. In den Niederlanden haben wir vor zehn Jahren damit begonnen, uns an die jungen Leute in den Milli-Görüs-Moscheen zu wenden. Junge Muslime betonen eher soziale Fragen als rein religiöse Themen. Von den Alten werden ihre Sorgen kaum behandelt. Wir haben sie motiviert, in den Moscheevorständen aktiv zu werden. Als wir damit begannen, hätten wir uns nicht träumen lassen, dass wir zehn Jahre später eine Konferenz zum Thema Homosexualität mit Milli Görüs organisieren könnten. Es hat lange gedauert, aber man muss diese Zeit investieren. Milli Görüs hat sich mittlerweile geöffnet.

Sie klingen sehr optimistisch. Glauben Sie, dass im Laufe einer weiteren Generation Muslime in Europa zu einem integrierten, ganz normalen Bestandteil europäischer Gesellschaften werden können?

Ja und Nein. Man darf nämlich nicht davon ausgehen, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Man muss in Menschen investieren, sie motivieren. Interview: YAS