Wilde Schießerei der Polizei

Vor 70 Jahren starben mindestens 18 Menschen beim Altonaer Blutsonntag, als Polizisten einenNazi-Aufmarsch mit Waffengewalt schützten. Vier Antifaschisten wurden als Aufrührer hingerichtet

von BERNHARD RÖHL

Im Juli 1932 ist Altona noch preußisch und fest in sozialdemokratischer Hand: Die SPD stellt den Bürgermeister mit Max Brauer und den Polizeipräsidenten mit Otto Eggerstedt. Sie sind die Mitverantwortlichen für ein Ereignis, das als Altonaer Blutsonntag in die Geschichte eingeht. Am 17. Juli 1932, vor 70 Jahren, starben mindestens 18 Menschen bei einem Nazi-Aufmarsch durch Altona. Die NSDAP hatte für jenen Sonntag einen Marsch von SA und SS durch die damalige Hamburger Nachbarstadt angekündigt – eine pure Provokation, denn die Altstadt war damals eine Hochburg von SPD und KPD. Eggerstedt genehmigte den Marsch, weil er den Nazis „keine Gelegenheit zu einer Beschwerde bei der Reichsregierung“ geben wollte.

Lothar Danner, damals Chef der Ordnungspolizei in Hamburg, hat in seinem Buch „Ordnungspolizei Hamburg – Betrachtungen zu ihrer Geschichte 1918 - 1933“ die Ereignisse des Altonaer Blutsonntags geschildert. Er schreibt: „Eggerstedt ordnete an, daß die gesamte Altonaer Schutzpolizei zur Deckung des nationalsozialistischen Zuges aufgeboten werden sollte und begab sich selbst am 15. Juli auf Wahlreise, von der er erst am 17. zurückkehren wollte.“

Danner, nach 1945 erster Hamburger Polizeisenator nach dem Krieg, schildert den Beginn des Aufmarsches: „Während sich die etwa 7000 Teilnehmer des Zuges auf der Altonaer Bahnhofstraße und der Turmstraße versammelten, ordnete der zuständige Revierführer an, dass in der Breiten Straße, die der Zug später passieren sollte, die Fenster zu schließen seien. Um seiner Anordnung Nachdruck zu verleihen, ließ er Schreckschüsse abgeben.“ Danner behauptet, gegen 17 Uhr sei ein Teil des Zuges aus Fenstern beschossen worden. Die Polizei habe zurückgeschossen, um die Faschisten durch die Große Bergstraße zum Bahnhof zurückzubringen.

Danners weitere Version: Als er von „lebhaften Feuergefechten in Altona“ erfuhr, habe er Polizeikräfte sammeln lassen und sei zum Nobistor gefahren, wo er folgendes Bild beschrieb: „Herrenlose Polizeipferde rasten umher; in den Hausfluren hockten noch vereinzelt verängstigte Nationalsozialisten, an den Ecken standen Gruppen der Schutzpolizei und schossen in Richtung der Dächer. Die alsbald eintreffende Hamburger Bereitschaft ließ zunächst die Kleine Freiheit räumen, wo die Kommunisten angefangen hatten, eine Barrikade zu errichten. Alsdann setzte man sie in der Schauenburger Straße ein und ließ sie auf beiden Seiten über die Dächer vorgehen. Das Durchkämmen der Straße dauerte etwa zwei Stunden, zwei Beamte wurden dabei verwundet. Die Bevölkerung hatte 15 Tote zu beklagen, darunter befanden sich zwei uniformierte Nationalsozialisten. Der Rest wird zumeist ein Opfer der wilden Schießerei der Altonaer Polizei geworden sein“, stellt Danner rückblickend fest.

Über die Zahl der Toten dieses Tages gibt es unterschiedliche Angaben, das Stadtteilarchiv Ottensen spricht von 18. Die Zahl der Verletzten schwankt in den Angaben zwischen 50 und 100. Zu den Erschossenen gehörten auch Frauen.

„Polizisten drangen auch in Häuser ein und schossen aus Fenstern in gegenüberliegende Wohnungen und auf alles, was sich auf der Straße bewegte. So wurden auch Erna Sommer und zwei weitere Frauen in der Marienstraße getötet. Erna, die ich schon als 10-Jährige kannte, wurde mit ihrem Baby auf dem Arm am Fenster ihrer Wohnung erschossen“, erinnert sich Augenzeuge Helmut Heins. Zwei weitere Frauen starben durch Schüsse der Polizei. Eggerstedt sagte anschließend gegenüber der Presse: „Wenn nun doch vielleicht Neugierige in den Häusern verletzt worden sind, so haben sie sich die Schuld dafür selbst zuzuschreiben.“ Er behauptete, die Polizei sei genötigt gewesen, aufs Pflaster zu schießen. Querschläger hätten Menschen daraufhin verletzt, mehreren Verletzten mussten die Beine amputiert werden.

Im September 1932 beschäftigte sich ein überparteilicher Ausschuss mit dem Blutbad. Er gab vor allem der Reichsregierung die Schuld an dem Massaker, die kurz zuvor das Verbot von SS und SA aufgehoben hatte. Zudem stellt er fest: „Hätte die Arbeiterbevölkerung tatsächlich in diese Kolonnen geschossen wie behauptet, so hätte es unter den Braunhemden zahlreiche Tote gegeben und nicht unter der Zivilbevölkerung.“

Die Ereignisse des Blutsonntages gaben der Reichsregierung den Vorwand, die preußische SPD-Regierung Otto Brauns zu stürzen, „um die Sicherheit in Preußen zu gewährleisten“. Braun kapitulierte am 20. Juli vor dem Staatsstreich, der neue starke Mann wurde Hermann Göring. Preußen bildete das Vorspiel zur Machtübernahme der Nazis im Reich ein knappes halbes Jahr später.

Am 8. Mai 1933 – Hitler ist an der Macht – begann ein Sondergericht in Altona, wegen der Ereignisse des Blutsonntags zu verhandeln. Angeklagt sind allerdings keine Polizisten, sondern die vier Sozialisten Bruno Tesch, August Lüttgens, Walter Möller und Karl Wolff Sie gehörten zu den zahlreichen Verhafteten vom 17. Juli, die aber rasch wieder freigelassen werden mussten. Die Nazis sperrten sie erneut ein und wollten sie für die SA-Opfer bei dem Aufmarsch verantwortlich machen.

Der 19-jährige Bruno Tesch war der jüngste Angeklagte. Das Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes KJVD hatte am Blutsonntag eine Mutter mit zwei kleinen Kindern aus dem Chaos auf der Marienstraße in ein Treppenhaus gerettet. In diesem Gebäude wurde er gemeinsam mit anderen Männern verhaftet. August Lütgens gehörte damals dem Roten Frontkämpferbund an. Der Seemann galt als der Hauptangeklagte des Sondergerichtes. Walter Möller und Karl Wolff stammten aus Hamburg, der damaligen Nachbarstadt. Daher galten sie als „besonders verdächtig“, die beiden SA-Leute erschossen zu haben.

Ein Polizist bestätigte vor dem Sondergericht, er habe bei Bruno Tesch keine Waffe gefunden. Doch die Aussage wurde einfach unter den Tisch fallen gelassen. Alle vier wurden als angeblich schuldig zum Tode verurteilt.

Am 1. August 1933 starben die vier im Hinterhof des heutigen Altonaer Amtsgerichts an der Max-Brauer-Allee unter dem Fallbeil.

Eggerstedt wurde von den Nazis ebenfalls festgenommen und ins KZ Esterwegen im Emsland eingesperrt. Mithäftlingen gegenüber hat er sein tiefes Bedauern über seine verhängnisvolle Entscheidung geäußert. Der Mithäftling Max Radtke schilderte später die Haftzeit: „Gezielte Drangsalierungen und Schikanen der Wachmannschaft deuteten darauf hin, dass sie Anweisung hatten, Eggerstedt zu liquidieren. Am Tage seines Todes sprach er ahnungsvoll von seinem bevorstehenden Ende.“ Otto Eggerstedt wurde von SA-Leuten „auf der Flucht erschossen“.

Erst 1992 wurde die Todesurteile aufgehoben und Möller, Lütgens, Tesch und Wolff offiziell rehabiliert.