Briten starten Konjunkturprogramm

Ohne Maastricht-Bindung geht’s: Mit 90 Milliarden Pfund will Großbritannien die öffentlichen Dienste sanieren

DUBLIN taz ■ Der britische Schatzkanzler wirft mit Geld um sich. Gestern stellte Gordon Brown ein Programm vor, das für die nächsten drei Jahre um zwei Prozent höhere Ausgaben vorsieht. Das sind 90 Milliarden Pfund, mit denen die britische Regierung die Konjunktur ankurbeln will.

Fast die Hälfte davon geht in den maroden Gesundheitssektor, dessen Budget jährlich um inflationsbereinigte 7,4 Prozent steigen soll. Sein Anteil am Bruttoinlandprodukt würde damit in fünf Jahren bei 9,4 Prozent liegen – was ungefähr dem EU-Durchschnitt entspricht. Aber auch der Bildungsbereich erhält 12,5 Milliarden Pfund, sechs Prozent mehr als bisher. Damit investiert Großbritannien künftig 5,6 Prozent seines Bruttoinlandproduktes in die Bildung. Das ist mehr als die USA oder die Länder in der Europäischen Union.

Das Ministerium für internationale Entwicklung erhält 4 Milliarden Pfund, 3 Milliarden werden für Reparaturen des Schienennetzes bereitgestellt. Der Rest geht in die Rüstung, die Landwirtschaftsreform, die Bekämpfung der Kriminalität und den Bau von Häusern für Facharbeiter im Südosten Englands.

Brown will das ambitionierte Programm durch eine moderate Steuererhöhung ab April 2003 finanzieren, zudem hat er kurzerhand seine Prognose für das Wirtschaftswachstum auf 2,5 Prozent im Jahr geschraubt. Dabei gab es im ersten Halbjahr 2002 so gut wie kein Wachstum, und an eine rasche Erholung glauben die Wirtschaftsexperten nicht.

Der Generaldirektor des Verbands der Industrie, Digby Jones, warnte: „Wenn Brown denkt, er kann die Milchkuh, die Industrie heißt, weitermelken, dann macht er einen großen Fehler.“

Premierminister Tony Blair sprach in Hinblick auf die Ausgabenpläne von einem „entscheidenden Moment“ für die Labour Party. Er hatte im Wahlkampf im vorigen Jahr versprochen, die öffentlichen Dienste bis zu den nächsten Wahlen in drei Jahren spürbar zu verbessern. Andernfalls solle man ihn abwählen, sagte Blair damals. Der Independent wies jedoch darauf hin, dass bei einem defekten System lediglich mehr defekte Produkte herauskämen, wenn man Geld hineinsteckt, ohne die Fehler vorher zu beheben.

Verschiedene Ministerien haben ihre Budgets in der Vergangenheit gar nicht ausgegeben. 2001 waren insgesamt 6,25 Milliarden Pfund übrig, allein im Gesundheitsbereich waren es 700 Millionen, im Bildungssektor sogar 1,4 Milliarden. Mit dem Geld hätte man zehn Krankenhäuser bauen oder 50.000 Lehrkräfte einstellen können. Ein Regierungssprecher sagte, es gebe nicht genug Ärzte, Krankenpfleger oder Lehrkräfte für die neuen Stellen. Außerdem hätten sich die öffentlichen Dienste daran gewöhnt, den Gürtel eng zu schnallen. Jetzt falle das Umdenken schwer. RALF SOTSCHECK

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