Die Welt des Phantastischen

Magisch auch ohne Zaubertricks und atemberaubend ohne ein einziges Raubtier: Die neue Produktion der Fliegenden Bauten „Cirque“ verbindet reduziertes Zirkus-Repertoire mit literarischen und filmischen Blicken auf die Manege

von HELENE BUBROWSKI

Zirkus ist mehr als Feuerspucken, Sägemehl und Raubkatzen, die durch brennende Reifen springen. Eine „authentische Welt außerhalb der bürgerlichen Ordnung“ und „eine ernst zu nehmende Kunst“ sieht Dirk Hauska darin, Sprecher der Fliegenden Bauten. Seit Anfang Juli und noch bis zum 25. August bietet das Zelttheater auf St. Pauli einen Einblick in die „Welt des Phantastischen“: Cirque heißt die neue Produktion. Henry Millers 1948 entstandene Erzählung „Das Lächeln am Fuße der Leiter“ bildet Grundlage und Mittelpunkt des 90-minütigen Programms.

Hier ist Zirkus weniger: Den Zuschauer erwartet eine Vorführung ohne Tiere, ohne bunte Kostüme, ohne Zaubertricks und ohne Nebelmaschine. Der Schweizer Produzent Ueli Hirzel erzielte mit seinen experimentellen Produktionen bereits große Erfolge und formulierte damit ein revolutionäre Idee von Zirkus: Cirque O und que-cir-que gastierten in Koproduktion mit den Fliegenden Bauten in Hamburg, unter anderem auf Kampnagel. Cirque ist der erste Hirzel im Zelt in der Glacischaussee.

Die Reduziertheit der Inszenierung passt zu Millers Text, der in schnörkelloser Sprache die traurige Geschichte des Clowns August erzählt. Dieser möchte die Menschen nicht zum Lachen bringen, sondern ihnen zu „echter Glückseligkeit“ verhelfen. Am Ende seiner Vorstellungen erntet er aber „immer nur denselben irren Beifall“. Das Lachen wird für ihn zur „Qual seiner Ohren“, so dass er sich immer mehr verausgabt, bis zur Ekstase. Als er eines Abends erst in der Garderobe aus der Trance erwacht, beschließt er, „aus der Welt zu fliehen, die er kannte“. Er begibt sich auf die mühsame Suche nach sich selbst, woraufhin in vielen Variationen das Thema Selbstverwirklichung durchgespielt wird.

Acht SchauspielerInnen rezitieren „Das Lächeln am Fuße der Leiter“ je eine Woche lang, einen Abschnitt pro Vorstellung. In dieser Woche ist die Chansonière Georgette Dee an der Reihe. „Wir sind alle sehr gespannt auf ihre Interpretation“, so Hauska.

In regelmäßigen Abständen unterbrechen französische Artisten und Trapezkünstler den Vortrag. Ihre Nummern sind so leichtfüßig wie elegant: Der Jongleur Maeds arbeitet virtuos mit nur einer Keule, Sky Rozenbaum fliegt auf dem Trapez bis an die Zeltkuppel und Ajine schwebt in Stöckelschuhen über ein Drahtseil. Eindrucksvoll auch die Musik: Sebastian Alpert spielt auf einer skulpturähnlichen Installation aus schwingenden Kristallen.

Jeweils nach den Freitags- und Sonnabendvorstellungen werden man – dann bei freiem Eintritt – Spielfilme gezeigt, die sich mit dem Thema befassen: von Fellinis La Strada (am 3.8.) und Max Ophüls‘ Lola Montez (9.8.) bis hin zum neuerdings auch schon mal für Queer Theory herhaltenden (taz hamburg berichtete) Doris-Day-Streifen Spiel mit mir (Billy Rose‘s Jumbo, 19.7.) oder Peter Chelsons Komödiantentragikomödie Funny Bones (17.8.). Bereits gelaufen sind Freaks und Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos, jeder auf seine Weise ein Klassiker. An den letzten Terminen – am 23. und 24.8. – stehen Überraschungsfilme auf dem Programm.

Diese Produktion der Fliegenden Bauten hat kaum Gemeinsamkeiten mit dem bekannten Unterhaltungsprogramm im Zirkuszelt. Das opulente Varieté der Tigerlillies und die Straßenmusiker in Balagan lockten ein ganz anderes Klientel. Das habe bei der Premiere von Cirque auch „zum Teil schockiert“ reagiert, so Hauska, und die Vorführung „als Provokation“ empfunden. Jetzt strömen eher jüngere Leute, zum größten Teil Studenten, ins Zirkuszelt.

Und die sind auch mit Würstchen und Kartoffelsalat zufrieden. Denn anders als sonst gibt es bei Cirque keine Gastronomie und keine Pause. „Das würde gar nicht zum Programm passen“, erklärt Hauska. Schließlich ist hier ja weniger mehr.

bis 25. August, Mi bis Sa 20.30 Uhr, So 19.30 Uhr, Einlass eine Stunde vorher, Zelt der Fliegenden Bauten, Glacischaussee 4, Karten unter ☎ 39 90 72 66; Filmvorführungen jeweils freitags und sonnabends, 23 Uhr, Programm unter www.fliegende-bauten.de