berliner szenen Studienbewerbung jetzt

Zukunft im Schlitz

Im Hauptgebäude der Humboldt-Uni denke ich sofort ans Umdrehen. Vor mir steht eine lange Schlange junger Menschen. Ich schließe die Augen, zähle bis vier – und los. Ist doch nur ein schlecht beleuchteter Gang, der zum Studentensekretariat führt. Der letzte Bewerbungstag für NC-belegte Studiengänge.

Ein Junge mit zusammengebundenen Haaren bahnt sich mit kleinen Schritten den Weg tiefer in den dunklen Gang. Ich folge ihm. Die Gesichter in der Schlange sagen alle das Gleiche: „Ich will. Will studieren. Will mehr wissen. Will Schluss machen mit dem Kitsch der Nacht und den großen Milchcafes.“

Jede Tür sieht gleich aus. Beige, immer geschlossen, bepflastert mit Zetteln, auf denen unlesbare Wörter und Anweisungen stehen. Davor große braune Briefkästen. Es ist still wie im Dom, Schlurfgeräusche der Schuhe, leises Gemurmel. Der Junge vor mir schaut mich unsicher an. „Welches ist der richtige Briefkasten?“ Ich zucke mit den Schultern. Er grinst. „Erstes Fachsemester, NC-Studiengang?“, fragt ein Mädchen von hinten und greift nach unseren Umschlägen. Sie zieht die Unterlagen heraus. Ihre Augen sind klein und konzentriert. „Das ist der richtige“, sagt sie bestimmt, mein Blick fällt auf ihre stark behaarten Arme. Ich muss an den Film von gestern denken und frage mich, ob sie Zähne zwischen den Beinen hat. „Warte, das machen wir lieber selbst“, stoppt mein Vorgänger das Mädchen, das unsere Zukunftsentscheidung in dem braunen Kasten versenken möchte. „Oh, verstehe“, sagt sie schnippisch und dreht sich weg.

Wir stehen vor dem Kasten, ich halten die Klappe auf. „Eins, zwei, drei, vier und weg.“ Das Papier verschwindet im Schlitz. Ob es ankommt? Egal. HENNING KOBER