Sanft plätschern die Verhandlungen

Weil die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di an der Spree ihre neue Bundeszentrale baut, muss die Wagenburg Schwarzer Kanal weichen. Seit Monaten suchen alle Beteiligten nach einem akzeptablen Ausweichplatz. Bisher ohne abschließenden Erfolg. Derweil wird nebenan schon gebaggert

Baustelle Berlin. Der Wandel greift um sich. Frisst Altes auf – lässt Neues wachsen. An der Schillingbrücke im ehemaligen Sperrgebiet zwischen Mitte, Kreuzberg und Friedrichshain schmiegt sich eine Wagenburg an einen Rest Berliner Mauer. Doch die fahrbaren Wohnungen müssen weg. Die Dienstleistungsgewekschaft Ver.di will hier an der Spree ihre neue Bundeszentrale bauen. Jenseits der Mauer sind schon seit Anfang Juli Abrissarbeiten in Gange. Davor, wo seit zwölf Jahren das Kultur und Wohnprojekt „Schwarzer Kanal“ steht, soll eine Uferpromenade hin. So ist es im Flächennutzungsplan vorgesehen.

Bis Juli 2004 muss das Gewerkschaftsgebäude fertig sein. Dann läuft der Vertrag für Ver.dis derzeitigen Standort am Potsdamer Platz aus. Von Anfang an hatte man den nur auf drei Jahre festgelegt. „Schon als wir letzten Sommer in die Parkkollonnaden zogen, waren uns die Mieten eigentlich zu hoch“, informiert Ver.di-Projektleiter Klaus Hummel. Damals habe es keine andere Möglichkeit gegeben. Nach Zeitungsberichten zahlt die Gewerkschaft derzeit 23.500 Euro Miete pro Tag. Der Neubau kostet 75 Millionen Euro.

Viel billiger war das Klohäuschen im „Schwarzen Kanal“: eine zweckentfremdete Telefonzelle, überwuchert von Efeu. Eine Holztreppe führt hinauf, von der Schüssel überblickt man den Platz und die Spree. Bunte Wagen stehen zu beiden Seiten eines sandigen Weges. Michael Scheunemann, Nils Wollschläger und Clemens Vahrmeyer sitzen im Schatten eines großen Zeltdaches. Wie die anderen 20 Bewohner sind sie bereit umzuziehen. „Aber nur mit unseren Wagen.“ Vor ihnen befindet sich der Stolz der Rollheimer: eine Bühne für Varieté- und Kleinkunst. „Künstler haben von hier ihre Karrieren gestartet“, sagt Nils. Vor ein paar Monaten hat er sein Diplom in Physik erhalten. Seit Jahren testet er als Jongleur die Newtonschen Schwerkraftgesetze.

Im Januar haben die Wagenburgler eher zufällig von den Ver.di-Plänen erfahren. Sofort klopften sie beim Gewerkschaftsrat an. Im März kam der erste Kontakt zustande. „Also erst nachdem die sich am defintiv für den Bauplatz entschieden hatten“, bedauert Archäologiestudent Michael.

Bis September muss die Wagenburg weg. Dann soll die Baugrube ausgehoben werden. Schon mehrmals haben sich die Wagenburgler mit Leuten von Ver.di, dem Bauunternehmen Hochtief und dem Bezirksamt Mitte zusammengesetzt. Es ging um Alternativplätze. Doch eine Lösung ist nicht in Sicht. Das Grundstück, auf dem sie jetzt stehen, gehört teils Hochtief und teils dem Land Berlin.

Auf einen Platz in Köpenick, den die Bauunternehmen vorgeschlagen haben, wollen die Rollheimer nicht. „Der ist viel zu weit weg, dann können wir unser Varieté vergessen“, argumentiert Clemens. Neben ihm übt eine Artistin am Trapez. Die sechs Grundstücke in der Nähe, die die Leute von der Wagenburg vorgeschlagen haben, sagten wiederum den Baufirmen nicht zu. Auch die alternativen Baupläne, die befreundete StadtplanerInnen schon vor Jahren für die Wagenburg entwarfen, fielen durch. „Eigentlich könnte die Wagenburg in Ver.dis Bauvorhaben integriert werden“, erklärt Ulrich, ein Freund der Rollheimer, anhand der Pläne. Das will Ver.di nicht. „Das stört die Funktionalität des Gebäudes“, meint Projektleiter Hummel. Denn das Atrium sei zum Wasser hin ausgerichtet. Aber er will sich um eine friedliche Lösung bemühen.

Auch Hochtief-Partner Jürgen Kilian möchte die Wagenburgler nicht mit Blaulicht durch die Stadt jagen. Als Projektentwickler ist er für den Ver.di-Bau zuständig. Wie Hummel saß er mit den Wagenburglern am Runden Tisch. Überraschend kooperativ fand er die Leute aus den Wagen. „Aber ihre Alternativvorschläge konnten wir nicht umsetzen. Auf die genannten Grundstücke haben wir keinen Zugriff“, erklärt er. Einen Vorschlag hat er noch in petto. Ein Gelände, das direkt an den derzeitigen Wagenplatz angrenzt, könne man sich noch vorstellen. Aber das Miteinander dort sei nur für zwei Jahre möglich, schränkt er gleich wieder ein. Kilian betont, dass er den Druck nicht vom Senat nehmen wolle. „Eigentlich muss die Stadt hier etwas tun.“

Der Bebauungsplan des Stadtplanungsamtes Mitte sieht für die Gegend zwischen Oberbaumbrücke und Michaelsbrücke achtstöckige Blockbauten vor. Büro- und Wohnhäuser sollen dort entstehen. Wann dies alles verwirklicht werde, hänge von den Eigentümern der Grundstücke ab, heißt es beim dem Amt. Doch momentan sei die Lage schwierig, weil so viel Bürofläche leer steht.

Kilian kann dies nur bestätigen. Seine Firma besitzt Grundstücke an der Spree. Mit den anderen Eigentümern plant er, innerhalb von zehn Jahren auf den Brachen ein Medien- und Dienstleistungsviertel zu bauen. „Media spree“ soll das „Kompetenzzentrum“ einmal heißen. Das Gebäudeensemble soll sich mit einer wellenförmigen Fassade aus der Spree erheben. „Uns fehlen nur die Nutzer“, gibt Kilian zu.

Bei erneuten Verhandlungen schlug Kilian einen Teil des „Media Spree“-Geländes, auf dem erst später gebaut werden soll, den Rollheimern als Ersatz vor – allerdings auch nur begrenzt. Auch müsste zunächst der Eigentümer gefragt werden. Gleiches gilt auch für ein Grundstück in Treptow.

Beides wäre für die Wagenburgler akzeptabel. Am liebsten aber würden sie bleiben, wo sie sind. Nils zeigt auf den Caféwagen. „Dahinter fängt unser schönster Teil an.“ Sonne scheint dort durch ein Blättermeer. Zwischen den Bäumen schaukeln Hängematten. Akkordeonmusik tönt aus einem Wagen. Und Baulärm von jenseits der Mauer. „Erdbebensimulatoren“, sagt Nils und lacht. SUSANNE VANGEROW