Hormone frisch auf den Tisch

Im Skandal um verseuchte Futtermittel kommt jetzt noch eine weitere, diesmal Krebs erregende Substanz ins Spiel

aus Berlin HANNA GERSMANN

Im Skandal um hormonverseuchte Lebensmittel haben die Behörden neben dem Antibabyhormon MPA eine weitere verbotene Substanz entdeckt. Eine Sprecherin von Verbraucherministerin Renate Künast (Grüne) sagte gestern der taz, in Rückstellproben von belgischen Getränkeherstellern seien Spuren des Krebs erregenden Hormons Östradiol nachgewiesen worden. Die Substanz ist in Präparaten enthalten, die Frauen in den Wechseljahren einnehmen.

Auch das Hormon MPA war Anfang Juli in Belgien aufgespürt worden, nachdem es zunächst in niederländischem, später in deutschem Schweinefutter aufgetaucht war. Schon seit anderthalb Jahren soll die belgische Firma „Bioland Liquid Sugars“ – nicht zu verwechseln mit dem deutschen Ökoverband Bioland – alte Hormonmedikamente aus Irland entsorgt haben, indem sie die Substanzen in Glukosesirup mischte. Den Sirup verkaufte die Firma dann als Grundstoff für Tierfutter, Limonade oder Säfte – unter anderem an einen niederländischen Futtermittelhersteller, der im Juni und Juli 8.500 Tonnen verseuchtes Tierfutter auch nach Deutschland lieferte.

Künast sagte gestern, Betriebe in mindestens elf Bundesländern hätten dieses Futter bezogen. Damit sind fast doppelt so viele Länder betroffen wie zunächst angenommen. Allein in Nordrhein-Westfalen wurden bis gestern Nachmittag 177 Höfe gesperrt, darunter vor allem Schweinemastbetriebe im Münsterland. In Niedersachsen sind es noch einmal genau so viele.

Weniger hart getroffen hat es die Landwirte in Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. In Nordrhein-Westfalen mussten auch zwölf Futtermittelhändler schließen. Die Ministeriumssprecherin schloss nicht aus, dass noch weitere Bundesländer betroffen sein könnten.

Die Länderbehörden prüfen weiter und nehmen bei den Landwirten und Futtermittelherstellern Proben. Für die Betroffenen heißt das: Verseuchtes Futter müssen sie austauschen. Und Fleisch dürfen sie erst dann wieder verkaufen, wenn nachgewiesen ist, dass sich darin keine Spuren von Hormonen finden. „Kein Tier muss geschlachtet werden“, sagte die Sprecherin des Verbraucherministeriums. Die Hormone bauten sich im Körper schnell wieder ab.

Der Skandal zieht weite Kreise. Die abgelaufenen Medikamente erhielt die belgische Firma Bioland – Besitzer sind zwei Brüder aus den Niederlanden – aus Irland. Den Hormonsirup lieferte das Unternehmen vermutlich an Getränke- und Futtermittelhersteller in zehn europäischen Ländern. Im Fall der 1.300 Partien, die noch bis letzte Woche nach Deutschland kamen, verarbeitete ein niederländischer Betrieb die verseuchte Masse zu Futter.

Inwieweit auch die Landwirte über die Inhaltsstoffe Bescheid wussten, ist bisher unklar. Allerdings soll das Hormonfutter aus den Niederlanden unschlagbar günstig gewesen sein. Der Preis für den Zuckersirup lag bis zu 30 Prozent unter dem handelsüblichen. Und: In der Tiermast versprechen Hormone ein schnelleres Wachstum.

Unter anderem das Antibabyhormon Medroxy-Progesteron-Azetat, kurz MPA, das in den letzten Tagen Schlagzeilen machte. Bereits Ende Juni war es aufgefallen, weil in einem niederländischen Sauenstall weniger Ferkel zur Welt kamen. Daraufhin wurde das Futter untersucht und das Hormon festgestellt.

Von „mafiösen Strukturen“ sprach gestern die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn. „Der Fantasie sind ja keine Grenzen gesetzt, was könnte man sonst noch alles ins Futtermittel reintun“, sagte Höhn. Ihre Lösung: Sie will regeln, was in Futter hinein darf. Genau wie Bundesverbraucherschutzministerin Renate Künast machte sie sich gestern stark für eine Positivliste. In der sollen die Stoffe genannt werden, die ins Futter gemischt werden dürfen. Alle anderen wären automatisch verboten. Außerdem sollen Inhaltsstoffe genau deklariert und Kontrollen bei Futtermitteln verstärkt werden.

Derweil kündigte die EU-Kommission an, die Vorschriften über die Futtermittelproduktion zu verschärfen. Künast zufolge erarbeitet EU-Verbraucherkommissar David Byrne derzeit eine verbindliche Positivliste für alle Inhaltsstoffe, die in Futtermitteln enthalten sein dürften. Einen verbindlichen Termin habe Byrne aber nicht genannt, bedauerte Künast.