Kebab in Kühlungsborn

Urlaub in Deutschland: Irre Berge, leckere Matjes und jeder Tag ein Risiko

„So etwas Exotisches hatten wir noch nie gesehen. Und die Leute laufen ganz seltsam herum.“

Letztes Jahr noch war Deutschland out. „Urlaub im eigenen Land? Nää, dat hätt’ ich mir nich’ vorstellen können“, sagt Harald Fleck und weist seinen Jüngsten mit strengem Blick an, das Softeis weit vom väterlichen Badetuch entfernt zu verzehren. „Wir sind ja meistens in die Türkei“, erinnert sich der Familienvater aus dem Ruhrpott und gräbt die Füße genüsslich in den Ostseestrand. Schön sei das immer gewesen, aber: „Kebab gibt es hier in Kühlungsborn ja auch.“

Die Deutschen fahren wieder nach Deutschland. Gerechnet hat damit aber keiner, am wenigsten die Marketing-Experten der großen Heimaturlaub-Offensive im vergangenen Jahr, als großflächig für die deutschen Regionen geworben wurde.

Die Werbekampagne hat letztlich nur einen geringen Anteil daran, dass sich die Deutschen nicht mehr für das Aus-, sondern für das Bundesland interessieren. „Nach dem 11. September war Schluss“, bringt es der Rostocker Björn Braschmann auf den Punkt, „meine Frau hat sich geweigert, je wieder in ein Flugzeug zu steigen, und ich hatte auch keine so große Lust dazu, mich immer nach übergeschnappten Arabern umzukucken.“ Die Braschmanns buchten in Bayern. Und wurden angenehm überrascht: „So etwas Exotisches hatten wir noch nie gesehen. Irre Berge! Und die Leute laufen ganz seltsam herum.“ Braschmanns staunten nach eigenen Angaben fast jeden Tag. Dabei ist das jung-dynamische Paar durchaus welterfahren und hat schon allerlei gesehen, „Aborigines zum Beispiel, und wir waren auch mal bei Nomaden in der jordanischen Wüste“. Menschen in Lederhosen, Blasmusik und riesige Schweinshaxen dagegen kannten sie noch nicht. „Eine fremde Welt“ sei das gewesen, sagt Björn Braschmann, „vor allem weil man sich nicht verständigen konnte. Englisch oder russisch spricht da keiner.“

Tanja Kelb aus Frankfurt hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Die allein erziehende Mutter verreiste mit ihrer achtjährigen Tochter Lisa auf die Hallig Hooge, wo sie in einer günstigen Ferienwohnung unterkamen. Sie selbst habe irgendwann „den Handkäs vermisst“, erzählt sie, „aber das Kind will immer noch jeden Tag Matjes essen“. Windig sei es gewesen, und vor allem hätten „die Leute ja nie mehr als das Nötigste gesagt“. Gleichzeitig habe sie aber dadurch zu „innerer Ruhe“ gefunden. „Noch heute ziehe ich manchmal zu Hause die Gummistiefel an, um mich in unsere Ferien zurückzuversetzen.“ Dass es auf der Hallig auch einen Mann gegeben hat, berichtet sie freimütig. „Er hat nicht viel gesagt, aber geguckt. Diese Norddeutschen haben eine unglaublich intensive Art, etwas ohne Worte zu vermitteln.“

„Intensiv“ wollten auch Halit und Ecrem aus Kassel ihren Urlaub gestalten. Die begeisterten Skateboardfahrer verbrachten zwei Wochen in Bernau bei Berlin. „Jeden Abend totales Risiko“, schwärmt Halit, „überall Glatzen!“ Der „Kick“, den die beiden sonst „beim Gletschersnowboarden“ erlebten, sei in Bernau „absolut zu spüren“ gewesen. Eigentlich, sagt Ecrem, wären sie gern zum Freeclimbing in die Dolomiten gefahren. Dafür reichte aber das Geld nicht. Im Nachhinein seien sie beide sehr froh: „Du hast null Ahnung, aber ’ne kurze Anfahrt, und dann geht es ab.“

Eine Studie der Ferienforschungszentrale (FFZ) in Koblenz hat inzwischen noch einen weiteren Grund ermittelt, weshalb die Deutschen lieber nach Mecklenburg statt nach Mexiko fahren: der Euro. „Das Gefühl, mit einer ausländischen Währung zu zahlen“, habe vielen Urlaubern „den Eindruck der Fremde vermittelt.“ Entsprechend groß wird die Enttäuschung sein, wenn die Reise dann doch wieder an die spanische Mittelmeerküste führt. CAROLA RÖNNEBURG