Per Interview zum Selbst

Im Rahmen seines Galeriespiels zeigt das Künstlerinnenarchiv bildwechsel, wie im aktuellen Kunstbetrieb KünstlerInnen hergestellt werden. Zutaten: Wort und Bild, eine collagierte Interview-Performance und ein paar Video-Anlagen

von KATRIN JÄGER

Kennen Sie das Gefühl, jemanden zu kennen, weil Sie ein biografisches Interview von ihm gelesen haben? Wie wohl ist der Leserin ums Herz, wenn es sich zudem um eine bekannte Künstlerin handelt. Gleich fühlt sie sich selbst wichtig.

Mit ihrer Interview-Performance will die Hamburger Künstlerin Stef. Engel zeigen, dass der Interviewtext nicht die interviewte Person abbildet, sondern andersherum: Die Person erschafft sich durch ihre Antworten sozusagen selbst. Das kann langweilen. Die Interviews in dem Katalog KünstlerInnen. 50 Positionen zeitgenössischer internationaler Kunst, 1997 ediert vom Kunsthaus Bregenz, das sie kürzlich im Antiquariat fand, haben Engel daher eher die Leselust genommen, weil „das Buch als selbst gesteuerte Selbstdarstellung funktioniert. Die KünstlerInnen konnten ihre Interviewpartner selbst aussuchen, konnten peinliche Passagen streichen, für ihr Porträt durften sie sich die Hintergrundfarbe aussuchen. Das ist zu clean.“

Engels heute in der Galerie Mesaoo Wrede stattfindende Interview-Performance bricht mit den kantenlosen Mythen vom künstlerischen Selbst, indem sie in einer Textcollage einzelne Passagen aus verschiedenen Interviews neu zusammenfügt. Da antwortet dann Masturbationsfotografin Elke Krystufek auf eine Frage, die im Originaltext der Performance-Künstlerin Andrea Fraser gestellt wurde. Jenny Holzers politisch motivierte LCD-Texte erscheinen im direkten Zusammenhang mit dem Problem, dass Franz West seine Skulpturen auf Sockel stellt, weil er im Atelier übernachtet.

Da die Interviews im Original teils auf Deutsch, teils auf Englisch geführt worden sind, gerät Engels Neuinszenierung zur denglischen Mixtur. Heraus kommen neue Ansätze für die Definition als KünstlerIn. Mit ihrem Verfahren will Engel die Willkürlichkeit dieser Mythenbildung aufzeigen.

Wie sieht es mit alternativen KünstlerInnen-Mythen aus? Diese Frage stellte sich vor vier Jahren Chris Regn, Mitarbeiterin bei bildwechsel, dem Dachverband für Frauen, Kunst, Kultur. Seitdem hat sie rund 40 Künstlerinnen, Galeristinnen und Kuratorinnen interviewt. Alle nach demselben Frageraster. Es geht um Selbstentwürfe. Frei nach der Methode der Erinnerungsarbeit der Soziologin Frigga Haug entwerfen die Befragten ihren eigenen Erinnerungsmythos, die Geschichte von sich selbst und ihrem Weg zu dem, was sie im gesellschaftlichen Leben repräsentieren.

Im Anschluss an Engels Interview-Performance präsentiert Regn diese Interviews parallel auf zehn Monitoren, jeweils mit Kopfhörern versehen, damit mehrere BesucherInnen gleichzeitig demselben Interview folgen können. Die Video-Interviews schaffen einerseits ein öffentliches Forum für Leben und Werk von Künstlerinnen, die nicht dem gängigen Mythos entsprechen. Sie zeigen aber auch, dass es sich auch hier um einen repräsentativen Mythos der jeweils interviewten Persönlichkeit handelt. Engel und Regn sehen in ihren Interviews „die Repräsentation als künstlerische Arbeit. Es kann sein, dass die Videos langweilen, weil sie lang sind, ungefähr jeweils eine Dreiviertelstunde. Zu sehen sind ausschließlich ,Talking Heads‘, wie der Name unserer Veranstaltung ausdrückt. Wir wollen nicht unterhalten. Wir wollen die Auseinandersetzung mit Repräsentationsformen“, sagt Regn.

Während des Interview-Marathons können sich alle, die sich selbst als künstlerisch definieren, spontan von Regn interviewen lassen. Zur Debatte steht unter anderem auch dies: Ist eine Ausbildung ein Kunstwerk?

Interview-Performance mit Stef. Engel, heute, 19.30, Uhr. Öffnungszeiten Videokabinett „Talking Heads“: 20.7., 11–21 Uhr sowie 21.7., 14– 21 Uhr, Alle Veranstaltungen in der Galerie Mesaoo Wrede, Danzigerstr. 36