Turbo-Abitur steht vor Gericht

Eltern klagen gegen 12-jährige Schulzeit: Verwaltungsgericht soll entscheiden, ob die Fünftklässler schon mal zwei Stunden mehr Unterricht bekommen können, obwohl das Abitur nach acht Jahren noch gar nicht Gesetz ist

von SANDRA WILSDORF

Eltern klagen vor dem Hamburger Verwaltungsgericht gegen die Schulbehörde und deren Plan, das Abitur nach zwölf Jahren einzuführen. Lore und Matthias Neuling haben zwei Töchter: Pola kommt nach den Ferien in die sechste Klasse des Helene-Lange-Gymnasiums in Eimsbüttel, Marleen in die Fünfte. Läuft alles nach Behördenplan, machen sie gleichzeitig ihr Abitur.

Denn Marleen soll zu dem ersten Jahrgang gehören, die dem politischen Willen des Schwarz-Schill-Senats gehorchend, die bis zum Abi erforderlichen Stunden in acht, statt wie bisher üblich neun Jahren absolviert. Weil es dafür aber noch keine Gesetzesgrundlage gibt – das hamburgische Schulgesetz wird frühestens im kommenden Jahr entsprechend geändert – klagen die Neulings dagegen.

„Wir sind gar nicht prinzipiell gegen die Schulzeitverkürzung, wir wenden uns aber dagegen, dass die Hamburger Regierung ihre Reform aus reinen Profilierungsgründen gegenüber der Wirtschaft auf dem Rücken der Schüler austrägt“, sagt Lore Neuling, die Mutter von Marleen und Pola. Denn es gebe für die Reform weder die notwendigen zusätzlichen Lehrerstunden noch ein entsprechendes Konzept. „Wir sind der Ansicht, dass mit der geplanten Reform vor allem die Absicht verbunden ist, stärker auszusieben“, sagt sie. „Wenn es es denn so ein Problem ist, dass die Jugendlichen zu alt sind, wenn sie zu arbeiten anfangen, dann könnte man doch die Lehrpläne entrümpeln oder beispielsweise durch kleinere Klassen effizienteres Lernen ermöglichen“, schlägt sie vor.

Die Eltern haben sich jetzt für den Rechtsweg entschieden, weil „die vielen bösen Briefe von Elternräten an Herrn Lange eh nicht beantwortet werden“. Insgesamt machen sich sechs Familien auf den Weg vor die Gerichte, die Neulings sind die ersten, die eine Klage eingereicht haben, die anderen warten noch auf Antworten der Behörde auf ihre Widersprüche.

Die Behörde argumentiert: Weil die Stundenerhöhung in der fünften Klasse nicht unumkehrbar ist und nicht zwingend zur Einführung des acht-jährigen Gymnasiums führt, bedarf es dafür keiner Gesetzesänderung. Es sei völlig ausreichend, die Stunden für die Fünftklässler per Verordnung von 28 auf 30 zu erhöhen und dann im kommenden Jahr im Schulgesetz das Abitur nach zwölf Jahren zu verankern. „Diese Verordnung hat Herr Lange bereits unterschrieben, sie tritt ab dem 1. August in Kraft“, berichtet Andreas Fromm, Büroleiter des Bildungssenators.

Der Anwalt der klagenden Eltern, Einar von Harten, hingegen argumentiert: Weil nicht absehbar sei, ob und wann die Behörde das Schulgesetz ändere, sei sie auch nicht befugt, „im Vorgriff auf eine mögliche Gesetzesänderung Neuregelungen zu treffen“, die in die grundrechtlich garantierten Rechte der Kläger und ihrer Tochter eingriffen. Er hält die Stundenerhöhung ganz klar für eine Maßnahme, „die im Vorgiff auf eine politisch beabsichtigte Schulzeitverkürzung“ erfolge.

In einem Schreiben an die Eltern hat die Behörde definitiv festgestellt: „Alle Kinder, die im August in die fünfte Klasse des Gymnasiums eintreten, werden das Abitur bereits nach acht Jahren ablegen können.“ Und: „Für die Klassen fünf und sechs erhöht sich die Wochenstundenzahl von 28 auf 30 Stunden.

Das aber bedeutet, dass schon Fünftklässler täglich mindestens sechs Schulstunden haben werden. Nehmen sie darüber hinaus Angebote wie Orchester oder Chor wahr, sei Nachmittagsunterricht unvermeidlich. Das sei eine „qualitative Veränderung der Unterrichtssituation der Schüler, für die es einer gesetzlichen Grundlage bedürfte“, argumentieren die Kläger.

Auch die zweite Fremdsprache in der sechsten statt wie bisher der siebten Klasse einzuführen, bedürfe einer solchen Grundlage. Weil die Behörde sich bis gestern nicht dazu geäußert hat, ob sie die aufschiebende Wirkung der Klage akzeptiert, will von Harten nun eine Eilentscheidung vorm Verwaltungsgericht erwirken.