: Pisa-Erkenntnisse von 1994
Unter der Leitung des Pädagogen Wolfgang Klafki drängte eine Kommission bereits vor acht Jahren auf eine Reform des Bremer Schulsystems – ohne Erfolg. Bildungssenator damals: Henning Scherf
Woran liegt es, dass vergleichsweise wenig in Sachen „Innere Schulreform“ geschehen ist? Diese Frage wird nach den Ergebnissen der Pisa-Untersuchung in Bremen diskutiert. Sie ist allerdings nicht ganz neu. Anfang der 90-er Jahre gab es in Bremen eine Bildungsreform-Kommission unter der Leitung des renommierten Marburger Pädagogik-Professors Wolfgang Klafki. Schon im Vermerk über die Beratung der Kommission im Jahre 1994 steht genau dieser Satz: „Woran liegt es, dass vergleichsweise wenig in der inneren Schulreform geschehen ist?“ Und weitere Erkenntnisse hat 1994 der Mann, der noch heute in der Bremer Bildungsbehörde für den Kontakt zu den Pisa-Forschern zuständig ist, aufgeschrieben: „Die Förderung von ausländischen Kindern im Gymnasium und das Angebot von Muttersprachen als Fremdsprachen (türkisch) sei zu gering“, heißt es in dem von Joachim Schweitzer aufgeschriebenen Kommissions-Protokoll.
Ganz grundsätzlich stellte die Kommission damals die Frage: „Wie kann eine strukturelle Schulreform, die mehr Bildungschancen und höhere Schulabschlüsse zum Ziel hat, endlich das erreichen, was in anderen Stadtstaaten oder Ruhrgebietsstädten erreicht wurde? Ist die Bremer Schulreform auf der Hälfte stecken geblieben?“
Mit großem Aufwand hatte in den Jahren, in denen Henning Scherf (SPD) Bildungssenator war, die hochrangig besetzte „Klafki-Kommission“ das Bremer Schulsystem untersucht, um das Bildungsressort über erforderliche Veränderungen zu beraten. Konsequenzen sind aus der Arbeit offenbar nicht gezogen worden: Weder gab es einen Bericht, in dem das Ressort über eine mögliche Umsetzung von Empfehlungen hätte Rechenschaft ablegen müssen, noch spielt die Vorarbeit dieser Kommission in der aktuellen Pisa-Debatte eine Rolle. Im Gegenteil: Einige der von der Klafki-Kommission erkannten Probleme werden heute in leicht abgeänderter Form als neue Erkenntnisse aus dem Pisa-Gutachten präsentiert.
So fand die Kommission damals heraus, dass in Bremen im Vergleich mit anderen Großstädten eine „überdurchschnittlich hohe Wiederholerquote“ auffällt. Außerdem gebe es in Bremen eine „im Bundesvergleich höhere Quote von Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss“. Insgesamt funktioniere die „Durchlässigkeit“ zwischen Gymnasial-, Real- und Hauptschulzweig in Bremen eher als „nach unten gerichtete Durchlässigkeit“. Sinn der Schulzentren sei es hingegen, eine Durchlässigkeit „nach oben“ zu ermöglichen. „Fördern“ müsse mehr zum Thema der Schulreform in Bremen werden, stellte Professor Klafki fest. Schon damals war er der Überzeugung, dass dies am besten in einer über sechs Jahre laufenden Grundschule stattfinden könne. Dieses Modell taucht heute unter dem Etikett „Basisschule“ als Folge der traurigen Pisa-Erkenntnisse wieder auf.
Geradezu entsetzt waren die Bildungsexperten schon damals über die Orientierungsstufe. Am Ende der 6. Klasse entscheiden in Bremen die Eltern über die Frage, ob ihr Kind in die Gymnasialklasse, in die Realschulklasse oder in den Hauptschul-Zweig gehen soll – im Zweifelsfall auch gegen das Votum der Schule. Offenbar empfehlen die Lehrer heute viel zu wenige Kinder für die Gymnasial-Klassen. Offene Frage der Klafki-Kommission damals: „Welches ist der Maßstab für die Empfehlung zum Gymnasium, wenn rund 67 Prozent derjenigen, die trotz Nichtempfehlung das Gymnasium besuchen, dieses erfolgreich abschließen?“ Diese Zahl wirft auch eine grundsätzliche Frage auf: Wie steht es um den „Geist“ in der Orientierungsstufe, deren Ziel die Förderung vor der Weichenstellung ist, wenn die Lehrer am Ende ihren SchülerInnen so krass zu wenig zutrauen? Konsequenz aus den Erkenntnissen damals: „Das Verfahren der Orientierungsstufen-Empfehlung ist hoch ineffektiv und sollte geändert oder gar abgeschafft werden.“ K.W.
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