Wie ein Salon unter freiem Himmel

Zwischen Bagger und breitem Bürgersteig: Im Schanzenviertel wird derzeit das Schulterblatt zur Piazza. Die AnwohnerInnen wissen noch nicht, ob sie sich über „Schickimickis“ ärgern oder über die Verschönerung des Stadtteils einfach nur freuen sollen

von ANNIKA SEPEUR und MATHIAS WÖBKING

Die Tische sind aufeinander gestapelt. Die Stühle laden nicht zum Bleiben ein. Heute huscht jedeR nur vorbei. Mitten in der aufgerissenen Straße strahlen zwei pinkfarbene Säulen. „Nee“, sagt der Bauarbeiter genervt, „telefonieren geht noch nicht. Wir bauen doch gerade erst auf!“ Im Dauerregen lässt sich noch nicht erahnen, dass hier das Schulterblatt zur Piazza wird.

Alles wird nur aufgeschickt, diese Befürchtung hatten zunächst viele Menschen in der Schanze. Und auch heute noch sind sich BewohnerInnen und UnternehmerInnen nicht ganz schlüssig über ihre Zukunft. „Das Viertel stand Jahre lang auf der Schattenseite und wird jetzt verschönert“, meint Taverna-Romana-Wirtin Christine Apostolidis. Einerseits. Andererseits hofft sie, dass sich die Bevölkerungsstruktur nicht „so verändert, dass wir ausschließlich auf Kunden aus anderen Stadtteilen angewiesen sind“.

In den vergangenen drei Jahren ist die Schanze zum Magneten geworden: Sie sei „gelebte Toleranz“ und biete eine Palette extremer Persönlichkeiten und politischer Ansichten, meint Apostolidis. „Aber was passiert, wenn die Karawane aus revoltierenden Jugendlichen bis New Economists weiter zieht und der nächste Stadtteil zum In-Viertel wird?“

Und wenn die Karawane weiter zieht?

Auch Peter vom Buchladen im Schanzenviertel ist zwiegespalten: „Gegen die Verbreiterung der Gehwege ist nichts einzuwenden“, sagt er. Denn jetzt hätten die FußgängerInnen mehr Platz als vorher und die Autos weniger. „Leider kommen die Leute aus ganz Hamburg aber nur angerauscht, um die Atmosphäre zu genießen.“ Für die AnwohnerInnen bedeute es aber in erster Linie Lärm – und Abfall, für dessen Beseitigung sie selbst aufkommen müssen: Die Reinigungskosten in der Schanze sind so hoch wie in keinem anderen Teil der Stadt. Durch die Bar- und Restaurantdichte ist es manchen AnwohnerInnen unmöglich, nachts zu schlafen – und das bei steigenden Mieten.

„Richtig günstig ist es hier fast nirgends mehr“, sagt Sylvia Sonnemann von Mieter helfen Mietern. „Man bezahlt mittlerweile das Schanzenviertel mit.“ Sogar von der Stadt geförderte Sozialwohnungen seien für SozialhilfeempfängerInnen, und somit für die Behörde selbst, nicht mehr finanzierbar. Andere Gebäude verteuern sich durch Sanierungen, so dass sich viele MieterInnen ein Leben in der gewohnten Umgebung nicht mehr leisten können. Sonnemann zufolge kosten selbst Kleinstwohnungen mit zwei Zimmern mindestens 500 Euro warm; Quadratmeterpreise von neun Euro seien die Regel. Dabei wird das Schanzenviertel von der Stadt nur als „normale“, und nicht als „bessere“ Wohnlage eingestuft.

Von den steigenden Mieten sind auch die Geschäfte betroffen: Der Buchladen im Schanzenviertel sah sich mit einer Mieterhöhung von 37,5 Prozent konfrontiert. In der Kneipe „Fritz Bauch“ sollen jetzt Kibas gegen Cocktails ausgetauscht werden: Der „Dorfbrunnen der Schanze“ passt in seiner bisherigen Form nicht mehr in das Konzept des neuen Hauseigentümers.

Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Leuchten

Die Veränderungen im Viertel wollen die Menschen allerdings nicht auf die Piazza schieben: „Die wird sehr schön“, sagt Ibo Çinar, Geschäftsführer des Kafé X am Schulterblatt. Endlich seien es Tische statt Autos, die jetzt vor seiner „Rede-Bar“ stünden – wie Çinar das Café nennt. Angst vor „Schickimickis“ hat er nicht. Im Gegenteil: Sie sind ihm willkommen, denn „ich sehe meine Gäste als Menschen“ – unabhängig von Geldbeutel, Kultur und Religion.

Die Mischung muss bleiben – auch Olaf Wørdehoff sieht das so. Er sitzt im Sanierungsbeirat, der den Umbau der Straße mit der Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) zusammen geplant hat. „Den Wandel des Schanzenviertels gibt es sowieso“, sagt Wørdehoff – und dann lieber mit seinem Einfluss als ohne ihn. Deshalb hat er sich an der Umgestaltung beteiligt, obwohl er selbst aus seiner Wohnung ziehen muss, wenn diese im nächsten Jahr altengerecht saniert wird. Während die Modekette H&M Gerüchten zufolge in der Schanzenstraße schon ihr Geschäft wittert, soll die Piazza für Wørdehoff ganz anders aussehen: „Ein Platz ist wie ein Salon unter freiem Himmel“, erklärt er, „ein Treffpunkt, an dem Gedanken ausgetauscht werden und, hinter vorgehaltener Hand oder frei heraus, scharfe Kritik geübt wird“.

Details, die Straßenlampen zum Beispiel, spielten da keine große Rolle: „Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Leuchten finde ich schrecklich, aber was sie da letztlich hinsetzten, ist eigentlich egal.“