: Lang gekocht, schnell serviert
In der Kochkunstgalerie Zagreus dreht sich derzeit alles um das Thema Fast Food. Doch statt Fritten und Currywurst gibt es Wachteln in Plastiktüten auf Klapptischen vor nachdenklichen Fotofolien
von CHRISTINE BERGER
Galerist Ulrich Krauss steht am Herd. Während in der Pfanne Nierchen in Dijonsenfsoße brutzeln, begrüßt er seine Gäste. Natürlich mit abgewinkelter Hand, wie es sich für einen Handarbeiter in der Küche gehört. Seit zweieinhalb Jahren macht er das so, jedenfalls wenn er in der Galerie arbeitet. Ganze Hirsche hat er hier schon verarbeitet, Picknick auf dem Fußboden veranstaltet oder – das war der Renner – zur Fußballweltmeisterschaft mehrmals täglich jeweils zwei Gerichte gegeneinander antreten lassen. „Da drängelten sich hier teilweise über 150 Leute“, erzählt der 41-jährige gelernte Koch und studierte Künstler. Kaum zu glauben, denn so groß ist die Galerie im Hinterhof eines frisch renovierten Gründerzeitbaues nun auch wieder nicht. Da sind sechs Klapptische und -stühle, die aufgestellt ein variables Esszimmer ergeben, schon realistischer.
Fast Food und das Thema „Wie wollen wir leben?“ – das Thema der aktuellen Ausstellung – ziehen sicherlich keine Massen an, dafür Menschen, die sich Gedanken machen. Zum Beispiel über Neapel. Dort hat der Fotograf Detlev Stiebich eine Weile gelebt, und ein Teil seiner Fotos, die auf Plastikfolie gedruckt in der Galerie frei zu schweben scheinen, handeln von dieser Stadt. Von ihren Gegensätzen in Form von modernen Hochhäusern, ehrwürdigen Altbauten und hässlichen Mietblocks. Eine Stadtansicht zeigt dieses architektonische Sammelsurium auf einen Blick, im Sonnenlicht zwar, aber dennoch gewissermaßen unmenschlich. Als tröstenden Gegensatz serviert Stiebich ein paar rührende Stillleben von Kerzenschein, Quallen und Blumen – gewissermaßen als Ode an die Besinnung auf Natur und Stille. Für den passenden Rahmen dieser Mixtur zum Thema Urbanität hat das Hamburger Architektenbüro Cleve Schillings gesorgt. Die Beleuchtung durch vertikal gehängte Neonröhren an den weißen Wänden lässt die eigentlich ziemlich mittelmäßig inspirierten Fotos beeindruckend wirken. Schein und Sein – das alte Spiel.
Genauso variabel und zufällig wie sich Kerzenlicht, Steine und Beton auf den Fotos tummeln, kommt auch das Essen daher. Die Gäste dürfen sich ihren Tisch in der Galerie aufbauen, wo sie wollen, und bekommen ein Menü aus der Wegwerfschachtel: hausgemachte Pizza wie vom Lieferdienst, die Nierchen in Pommesförmchen, Wachteln in Plastik verpackt – lieblos auf den ersten Blick. Doch beim genaueren Schmecken mit Sorgfalt und Liebe zubereitet. „Schnell ist nur das Servieren“, erklärt der Kochkünstler, die Zubereitung eines jeden Ganges koste ihn dagegen mehrere Stunden.
Fast Food mit edlen Zutaten in Verbindung zu bringen hat Krauss schon lange gereizt. Doch die eigentlich Herausforderung liegt für ihn darin, sich auf immer neue Themen einzustellen. Eine eindeutige Message will Krauss mit seinen außergewöhnlichen Kochkünsten nicht liefern: „Jeder soll sich denken, was er mag.“ Alte Rezepte liegen ihm am Herzen und kulinarische Experimente. „Wichtig ist, dass die Gäste die Speisen aus ihrer Substanz heraus begreifen, sinnlich und geistig.“ Kochen ist für den Galeristen Bindeglied zwischen Alltag und Kunst.
Das verwundert nicht. Der gebürtige Stuttgarter legte nach seinem Kunststudium noch eine Kochlehre nach. Eine Weile tummelte er sich dann im westlichen Afrika und lernte die dortige Küche lieben. Wieder zurück, widmete er sich der Auseinandersetzung mit toten Tieren. Seine Performances mit Ziegenhäutungen und ausgenommenen Wildschweinen machten Krauss in Berlin bekannt.
Mittlerweile kommen viele Künstler mit ihren Ideen auf ihn zu, und zwischen den einzelnen Ausstellungen bleibt kaum eine Woche, in der in der Galerie mal nicht gekocht und inszeniert wird. So wirbelt der Galerist emsig in der Küche, knetet Pizzateig, hackt Zwiebelchen für die Nierchen und wird auf seine Weise einem Zitat des Architekturtheoretikers Sigfried Giedeon gerecht, das in der Galerie auf die weiße Wand gepinselt wurde: „Um die wahre Natur des Raumes zu erfassen, muss sich der Betrachter in ihm bewegen.“ Das tut Krauss gewissermaßen ohne Unterlass.
Zagreus Projekt, Schröderstr. 13, Berlin-Mitte, „Wie wollen wir leben?“, Installation von Detlev Stiebich und cleve schillings architekten. Dazu gibt es Fast Food de luxe noch bis zum 30. 8.Essen nach Voranmeldung Mi./Do./Fr., 20 Uhr. Reservierung und Info: Tel. (0 30) 28 09 56 40.
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