Haus bauen, Bomben legen

Kunst zum Architekturkongress in Berlin (1): Am Leipziger Platz hat Tobias Hauser eine bescheidene Hütte aus Holzschindeln in Erinnerung an Henry David Thoreau gebaut

„Was ist denn das für ’ne komische Hütte?“, fragen sich Passanten und Touristen in Berlin-Mitte. Vis à vis des Bundesrats hat der bayrische Künstler Tobias Hauser auf einer eingezäunten Noch-Brachfläche des Leipziger Platzes, wo ein Immobilienentwickler 1999 abgesprang, ein kleines Holzhaus mit Kamin aufgestellt. Es ist 15 Fuß lang, 10 Fuß breit und hat eine Traufhöhe von nur 8 Fuß. Vorgebaut hat er es in seiner Bildhauerwerkstatt Osloer Straße, wobei er sein Material von der Holzhandlung Manfred Lucke in Kreuzberg bezog: in der Hauptsache Schindeln aus gespaltener Lärche. Dazu gibt es einen Katalog, den seine Galerie „Zwinger“, Gipsstraße 3 herausgegeben hat, mit einem Vorwort des Braunschweiger Kunstprofessors Michael Glasmeier. Unter „Supervision“ steht dort im Verzeichnis „H. D. Thoreau“, während Tobias Hausers entsprechendes Objekt „Walden“ heißt. Dabei handelt es sich um eine Nachbildung des Hauses von Henry David Thoreau, das dieser sich 1845 für 28 Dollar in der Wildnis von Walden bei Concord in Massachusetts bauen ließ.

Der Bau war eine Art Lebensexperiment, das der Philosoph zwei Jahre durchhielt. 1854 veröffentlichte er darüber in Boston seine Schrift „Walden oder Hüttenleben im Walde“, das auf Deutsch zuletzt bei Diogenes erschien. Diese Ausgabe wurde dann in der Prenzlauer-Berg-Kneipe „Walden“ benutzt, um damit die Toiletten zu tapezieren. Zuvor hatte man in Kreuzbergs Hausbesetzerkneipe „Pinox“ Ähnliches mit dem „Kapital“ von Karl Marx gemacht.

H. D. Thoreau und andere Transzendentalisten haben die Lehren Kants mit dem betrachtenden Forschergeist Goethes und den Überschreitungen Meister Eckharts verbunden – und somit, wie Glasmeier schreibt, „europäisches Denken gegen den Puritanismus im eigenen Land“ gewendet. Es handelt sich dabei vorwiegend um Naturgedanken, die Thoreau jedoch nicht mehr „hierarchisiert“, bis er zuletzt seine Welt am See als „schwankend zwischen Natur und Kultur“ erlebte. Thoreaus Wahrnehmung funktioniert als „radikale Akzeptanz“ dessen, was ist – unter der Voraussetzung, das sich möglichst wenig an „anderer Welt“ dazwischen schiebt.

Noch einmal radikalisiert wurde dieser Thoreauismus vom so genannten „Unabomber“ Theodore Kaszynski: ein amerikanischer Wissenschaftler, der sich in die Wildnis zurück zog und später Briefbomben an Unternehmer und Politiker verschickte, die er für die Umweltzerstörung verantwortlich machte. Inzwischen sitzt er im Gefängnis und schreibt ebenfalls Transzendental-Manifeste. Und so wie die Bomben von Kaszynski aufrütteln sollten, hat auch die nachgebaute Thoreau-Hütte am Leipziger Platz den „Stellenwert einer Demonstration – für ein anderes politisches, wirtschaftliches, künstlerisches Denken, das aber nicht als Flucht aus der Gesellschaft interpretiert werden darf, sondern als ein Handeln aus der Akzeptanz, nicht als bloße billige Kritik, sondern vor allem als ‚Denkraum‘ …“ (Glasmeier).

Ein englisches Touristenehepaar näherte sich diesem holzverkleideten Raum neulich so vorsichtig, als ob das Gelände drumherum vermint sei. Anschließend erklärten beide, man hätte ihnen zu Hause inzwischen beigebracht, nicht identifizierte Objekte, die an Plätzen herumstehen, wo sie nicht hingehören, zu meiden bzw. sofort zu melden – es könnte sich dabei um Zeitbomben von irgendwelchen Terroristen handeln. In England gäbe es deshalb nirgendwo mehr Schließfächer, auch die öffentlichen Papierkörbe seien bereits auf ein Minimum reduziert worden. Ist das etwa auch noch „horizontales Denken“ – im (Walden-)Dschungel der Großstadt nunmehr? HELMUT HÖGE