vorn zuhch gepackt – oder: die bahnleiche von FANNY MÜLLER
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Also, mit dem Zug fahre ich ja nie wieder! Neulich wollte ich von einer Lesung in Dortmund mit dem Intercity wieder nach Hamburg zurückkehren. Der Dortmunder Gastgeber hatte übrigens einen Hund, der „Gerda“ hieß und einem unentwegt die Füße leckte. Das darf ich Tante Gerda überhaupt nicht erzählen … ist ja auch egal.

Jedenfalls kam ich um Punkt 20 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof an. Um 14 Uhr 20 war ich losgefahren. nachdem die Hinfahrt nur 2,5 Stunden gedauert hat. Bei der Rückfahrt hatte sich nämlich kurz vor Bremen ein Selbstmörder „vor den Zuhch gepackt“, wie ein Bundeswehrsoldat seiner Freundin durchs Handy mitteilte. Das heißt, eigentlich rief er vier Freundinnen an, die er alle „Schatzi“ nannte. Da kann man wenigstens nichts verkehrt machen. Er bemühte sich, böse und gemein (evil, wicked, mean and nasty) auszusehen, und ich muss sagen: Er hat es geschafft. Anschließend stellte er zusammen mit einigen Kameraden Mutmaßungen darüber an, wie die Leiche jetzt wohl aussehe. Da musste ich in ein anderes Abteil umziehen.

Es dauerte dann mehr als zwei Stunden, bis die Polizei, die Feuerwehr, der „Krisenmanager der Deutschen Bahn AG“, der Staatsanwalt und ein neuer Lokomotivführer eintrafen und die Strecke wieder freigegeben wurde. Was die wohl die ganze Zeit gemacht haben – Beweismittel vernichtet? Der Krisenmanager lief in einer orangefarbenen Jacke herum, auf der „Krisenmanager“ stand; scheint wohl ein richtiger Beruf zu sein.

Die Zugführerin hatte uns mitgeteilt, dass sich „ein Personenschaden“ ereignet hätte. Früher hieß das noch Bahnleiche. „Verspätungsgrund: Bahnleiche“ hatte mir damals ein Beamter am Bahnhof bescheinigt, weil ich einen wichtigen Termin verpasst hatte. Es war gar kein wichtiger Termin, aber ich wollte unbedingt diesen Schein haben.

So was soll ja zwei- bis dreimal am Tag passieren. Meistens handelt es sich um Männer, weil Frauen dem Auge immer noch was bieten wollen, selbst wenn sie mausetot sind. Eine Mitfahrerin: „Die Kerle müssen ja hinterher auch nie aufwischen.“ Wundert mich eigentlich, dass sie bei der Feuerwehr noch keine Frauen einstellen.

Zwischendurch gab es Freibier – ich nahm Kaffee, und zum Schluss kriegte jeder einen Bon über 25 Euro, den man auf einer anderen Fahrt innerhalb von zwei Monaten wieder einsetzen darf. So wendete sich alles noch zum Guten. Solche Freifahrtscheine hat die Bahn offenbar immer fertig gedruckt dabei, und am Ende haben sie dann auch gar nicht gesagt, dass man sie wieder beehren solle.

Also ich fahre ja erst wieder Zug, wenn sie einem für jeden Staatsbürger in Uniform, der im Abteil sitzt, einen Entschädigungsbon von 25 Euro überreichen. Und für die, die dann auch noch zum Mobiltelefon greifen, gibt’s Zuschlag: Soldat + Handy = 30 Euro. Und wenn der in der anderen Hand eine Bierdose hat, wird aufgedoppelt. Also Soldat + Handy + Bierdose = 60 Taler. Noch eine Dose macht 120 Taler. Ja, dann würde ich echt wieder Zug fahren.