Teilen, verzichten – und genießen
: Zwölf Punkte für eine Mutter

von RALF SOTSCHECK

Aus London hört man nur Gutes, was den Arbeitsmarkt angeht: Langzeitarbeitslosigkeit bei Jugendlichen ist Vergangenheit; die Arbeitslosenzahl liegt so niedrig wie seit den 70er-Jahren nicht mehr, wodurch der Staat jährlich 4 Milliarden Pfund (6,32 Mrd. Euro) an Sozialhilfe spart; die Zahl der Kinder in Armut ist seit 1997 um eine halbe Million gesunken, bis 2017 soll kein Kind mehr arm sein.

Warum aber spricht Premierminister Tony Blair nie von den Erfolgen bei der Bekämpfung der Kinderarmut, wo er doch sonst nicht so bescheiden ist? Es liegt wohl daran, dass die Kinderarmut nur dadurch gelindert wurde, dass das Kindergeld um 80 Prozent aufgestockt wurde – dass aber ansonsten in Großbritannien trotz der Tendenz zur Vollbeschäftigung mehr Leute in Armut leben als in anderen Ländern der Europäischen Union: 1,5 Millionen Familien.

Labours Schlagwort im Wahlkampf war: „Arbeit, Arbeit, Arbeit.“ Blair sagte, ein Arbeitsplatz sei die beste Sozialhilfe – eine „hilfreiche Hand“ statt einer „wohltätigen Hand“. Dafür sind „Job Centres“ eingerichtet worden, die nicht nur Stellen vermitteln, sondern die Arbeitsuchenden persönlich beraten.

Aber ein Arbeitsplatz ist eben noch lange keine Garantie dafür, dass eine Familie nicht unter die Armutsgrenze fällt. So sanken schon unter den Tories die Arbeitslosenzahlen. Aber es wurden eben keine anständig bezahlten Industriearbeitsplätze geschaffen, sondern Billiglohnjobs im Dienstleistungsbereich.

Dieser Trend hat sich unter Labour fortgesetzt. Zuerst startete man das Programm „Welfare to Work“, das arbeitslose junge Leute dazu zwingt, irgendwelche Jobs anzunehmen, wollen sie nicht ihre Sozialhilfe verlieren. Dann folgte das Programm „Full and Fullfilling Employment“, das im vorigen Monat vorgestellt wurde. Ziel sei es, sagt Industrieministerin Patricia Hewitt, „Eltern, ältere Menschen und ethnische Minderheiten ins Arbeitsleben“ zurückzuführen. Dazu gehören drei Prinzipien: Vollbeschäftigung, ein vielfältiges Jobangebot und Steigerung der Produktivität. „Fast 70 Prozent der Männer zwischen 60 und 64 sind wirtschaftlich inaktiv“, sagt Hewitt. „Vor 30 Jahren waren noch 70 Prozent aktiv.“ Die Arbeitslosigkeit unter ethnischen Minderheiten, die sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen, liegt bei 14 Prozent.

Doch all dies verringert die Armut nicht. Zwar hat die Regierung einen Mindestlohn eingeführt, doch der beträgt nur 4,10 Pfund (6,90 Euro). Eine Studie der London School of Economics schätzt daher, dass die 1,5 Millionen Familien selbst dann unter der Armutsgrenze bleiben werden, wenn die Strategie der Jobbeschaffung erfolgreich sein sollte. Der Sozialhilfesatz liegt allerdings noch niedriger, damit der Anreiz erhalten bleibt, zu arbeiten. Blair sagt, er wolle „soziale Mobilität für alle“ erreichen.

In Wirklichkeit geht es ihm aber nur um die Arbeitslosenzahl, denn die ist wahlkampftauglich. Deshalb gibt es ein Punktsystem, mit dem die Angestellten in den „Job Centres“ bewertet werden: Vermitteln sie eine arbeitslose ledige Mutter, bekommen sie zwölf Punkte. Finden sie eine besser bezahlte Stelle für jemanden, der bereits einen Job hat, gibt es einen Punkt.