Ab nach Schanghai?

Marcelo Rios hat sich beim Tennisturnier von Kitzbühel verabschiedet. Das könnte dem ganzen Event drohen

KITZBÜHEL taz ■ Im Kitzbüheler Kasino hatte Marcelo Rios noch Glück. Er gewann beim Roulette. „Hoffentlich läuft es beim Tennis auch so gut“, hörte man ihn sagen, und es klang Skepsis aus seinen Worten. Die war berechtigt, denn zwölf Stunden später gab es auf dem Centre Court des „Casino-Stadions“ zu Kitzbühel für den Chilenen im Auftaktmatch gegen den Franzosen Jean René Lisnard wieder einen Flop. Rios unterlag dem Qualifikanten 5:7, 4:6 und trollte sich von dannen.

Vor vier Jahren noch die Nummer eins der Tenniswelt, stürzt der ungehobelte Chilene immer weiter ab ins Niemandsland der Weltrangliste, inzwischen ist der 26-Jährige auf Platz 30 angekommen. Selbst für Stimmung abseits des Courts sorgt Rios kaum noch, seinem „Ekelimage“ wird er schon längst nicht mehr gerecht. Was waren das für nette Zeiten, als er beispielsweise 1996 bei den French Open in Paris einen Journalisten auskonterte. „Habe ich Sie gefragt, ob Sie der Sohn einer Hure sind?“, schleuderte ihm Rios damals entgegen, als der Frager wissen wollte, ob er indianischer Abstammung sei. Rios ist inzwischen abgetaucht ins Einerlei der Tennisbranche; über neun Millionen Dollar Preisgeld machen träge. Zudem haben sich seine Prioritäten verschoben, seit einem Jahr ist er Vater einer Tochter. „Ein großartiges Gefühl“, wie er schwärmt: „Ich würde jeden meiner 18 Turniersiege dafür eintauschen.“

An die Stelle von Rios tritt in Kitzbühel schon traditionell die spanische Sand-Armada. An der Spitze der French-Open-Sieger 2002, Albert Costa, der dieses Turnier schon zweimal gewann. Dicht dahinter lauern der Paris-Finalist Juan Carlos Ferrero sowie Alex Corretja; dahinter wiederum ein halbes Dutzend Südamerikaner. Dennoch: Obwohl ein erlesenes Feld am Start ist, kommt keine richtige Stimmung auf. Tennis ist als zweiter großer Sportevent in Kitzbühel neben dem Skizirkus auf der Streif im Januar als Sommerhit auf Talfahrt. Das 7.000-Zuschauer-Stadion ist in der Nach-Muster-Ära während der Woche kaum zur Hälfte gefüllt. Kamen 1999 noch 86.000 Zuschauer auf die Anlage, würde man sich heuer schon über 70.000 freuen. Turniermacher und Wahlkitzbüheler Ion Tiriac droht bereits damit – wie zuvor in Stuttgart praktiziert –, die Lizenz des ATP-Turniers nach Schanghai zu verscherbeln.

Der schnauzbärtige Rumäne möchte damit Druck auf die Kommune und den Tourismusverband machen, dem „Golden-Series“-Turnier mit einigen 100.000 Euro unter die Arme zu greifen. Zumal die Renovierung des erst elf Jahre alten Stadions ansteht und rund anderthalb Millionen Euro kosten soll. Weitere Sponsoren sind angesichts der Wirtschaftsflaute nicht zu bekommen.

„Wir bringen Kitzbühel und Umgebung zwischen 22 und 36 Millionen Euro Umsatz in die Kassen“, rechnet Peter Scheiring, der Präsident des Tennisclubs, vor. Zwar hat der mächtige Tourismusverband jetzt 100.000 Euro lockergemacht, doch der Gemeinderat hält sich weiterhin bedeckt. Offenbar ist er der Ansicht, dass der „kleine Ferienort“, wie ihn Turnierdirektor Hellmuth Küchenmeister nennt, auch ohne die seit 1969 in Kitzbühel ausgetragenen Internationalen Österreichischen Tennismeisterschaften auskommt. Doch 10.000 Gästebetten in Kitzbühel und noch einmal 50.000 in der Umgebung müssen gefüllt werden.

Deutsche Tennisfans tun das kaum noch, sie bleiben dem Turnier schon seit längerem fern. Aus gutem Grund: Die deutschen Spieler, die nach Kitzbühel kommen, scheiden, wie Rainer Schüttler, zumeist früh aus. Und die, die nicht kommen, sorgen ebenfalls für Unmut. Thomas Haas beispielsweise hat, obwohl mit Ferienwohnsitz in „Kitz“ ausgestattet, noch nie hier gespielt, weil sich sein Vater einst mit dem örtlichen Tennisclub überworfen hat. Was waren das noch für Zeiten und Emotionen, als Boris Becker in Kitzbühel die Sitzkissen um die Ohren geflogen sind: 1985 kam er als Wimbledonsieger in die Alpen, spielte ähnlich lustlos wie heute Rios – und unterlag Diego Perez aus Uruguay in zwei Sätzen.

KARL-WILHELM GÖTTE