: Tierische Landschaftspflege
Schafe, Ziegen und eine leichte Geburt: Im Auftrag der Stadt Hamburg zieht die Schäferin Anke Mückenheim mit ihrer Herde durch die Fischbeker Heide. Denn „wenn man hier nicht tätig wäre, entstünde ein Wald“
von CHRISTOPH MÜLLER
Unruhe macht sich breit. Nervös trampelt die weiße Ziege umher. Streckt ihren Kopf nach hinten, beschnüffelt, was zwischen ihren Hinterbeinen hängt. Sieht aus wie eine rote Kugel an einem ebenso roten Band. „Das ist ungewöhnlich um diese Jahreszeit“, sagt Anke Mückenheim, als sie die Vorgeburt bemerkt. Aber „so etwas passiert eben, wenn man den Bock in der Herde lässt.“
Die Schäferin setzt sich ins Gras, legt den Wanderstab zur Seite und zupft ihren Mantel zurecht. „Das kann dauern.“ 40 Ziegen und 300 Schafe grasen vor ihr friedlich beieinander auf einer freien Fläche in der Fischbeker Heide. Eigentlich sind es noch mehr: Denn Hammel und Ziegenbock sowie die zahlreichen Lämmer werden in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. „Die Größe einer Herde berechnet sich durch die Anzahl der Muttertiere“, erklärt die Hüterin. Die Sonne prallt auf ihren Hut. Während sich die gebärende Ziege in den Schatten der Bäume zurückzieht, bleibt Mückenheim beim Gros der Herde sitzen. „Die Natur regelt das am besten alleine.“
Kaum noch wahrnehmbar ist der beißende Schafsgeruch, der einem spätmorgens in die Nase zieht, wenn die Tiere noch dicht beisammen im Gehege des reetgedeckten Schafstalls stehen. Sobald die Schäferin das Tor öffnet und losgeht, strömen Schafe und Ziegen hinterher. Eifrig umkreist von Benno und Ecco. Die beiden schwarzen Altdeutschen Hütehunde halten die Herde zusammen und schnappen einzelnen Tieren gelegentlich auch in den Nacken, um sie von ihren Irrwegen abzubringen. Benno trägt zurzeit allerdings einen Maulkorb – er nimmt seinen Job manchmal zu ernst.
„Höööp, höööp, höööp“, spornt Mückenheim die Tiere an. Sechs bis acht Stunden täglich zieht die 35-Jährige mit ihnen umher. Auf diese Weise pflegt sie seit vergangenem Jahr im Auftrag der Stadt Hamburg die Heidelandschaft in dem Naturschutzgebiet. Ihre Schafe stutzen Heidekraut und Gräser, die Ziegen sind Härteres gewöhnt und fressen auch Baumschößlinge. „Wenn man hier nicht tätig wäre, entstünde ein Wald“, erläutert Mückenheim. Neben der Erhaltung der Heide erfüllen die Tiere noch einen weiteren Zweck: die Erhaltung der Vielfalt. In ihrem Fell tragen sie Pflanzensamen, aber auch Insekten wie Grashüpfer weiter und „vermeiden so ökologische Inzucht“.
Ein dünnes Meckern. Die Schäferin geht zu dem Neugeborenen, das bereits kurz nach der Geburt auf den eigenen, wenn auch noch schwachen Beinen steht. Die Augen sind halb geschlossen, das weiß-braune Fell noch gelblich verschmiert – doch die Mutter ist schon dabei, es sauber zu lecken. Kaum hat es das Licht dieser Welt erblickt, sucht das winzige Weibchen nach einer Milchquelle – und verirrt sich unter den Leib eines Schafes. Das grast unbeirrt weiter.
Das Telefon klingelt. Mückenheim zieht sich mit ihrem Handy zurück. Ihre Tätigkeit beschränkt sich nicht aufs Hüten, sondern umfasst auch organisatorische Aufgaben. Schließlich ist die Tierwirtin mit dem Schwerpunkt Schafzucht – so die offizielle Berufsbezeichnung – selbständig und damit auch für die Aufstockung ihres Kontostandes selbst verantwortlich. So setzt sie ihre Tiere nicht nur in der Fischbeker Heide ein. Bei Bedarf werden sie per Lkw in andere Hamburger Stadtgebiete wie etwa die Boberger Niederung gebracht.
„Großverdienerin bin ich nicht“, sagt Mückenheim, die sieben Tage pro Woche arbeitet und kaum Zeit hat, zu verreisen. Doch wehleidig klingt sie nicht. „Immerhin arbeite ich dort, wo andere viel Geld ausgeben, um Urlaub zu machen.“ Einmal jährlich schert sie ihre Pommerschen Landschafe – eine vom Aussterben bedrohte Rasse. Drei bis dreieinhalb Kilogramm Wolle bringt ein Tier und für jedes Kilo erhält sie einen Euro – heute ein guter Preis, wie sie sagt. „Früher gab es mal 4 Mark 80.“
„Früher“ – das war die Zeit ihrer Kindheit, als sie sich durch das Scheren der Nachbarschafe Geld verdiente. In Rieseby bei Eckernförde ist sie schon mit Schafen aufgewachsen. Der elterliche Hof ist inzwischen ihr Hauptbetriebssitz. Ihre 20 Schafböcke, die dort auf einer Weide stehen, kommen jedes Jahr im Herbst mit den Weibchen zum Paaren zusammen und laufen anschließend so lange mit der Herde mit, bis die ersten Lämmer zur Welt kommen.
Das Telefonat ist erledigt, die Schäferin widmet sich ganz dem frischen Mutter-Tochter-Duo. Sie kniet sich hin, legt das Muttertier schwungvoll auf den Rücken und drückt das Maul der Zicke an die Zitze der Ziege. „So gehe ich sicher, dass sie die erste Milch bekommen hat“, erklärt Mückenheim. „Die enthält wichtige Abwehrstoffe und bringt die Verdauung in Gang.“
Viel Zeit bleibt der kleinen Ziege nicht. Im Alter von acht bis zehn Monaten werden die Lämmer geschlachtet, die Muttertiere erst, wenn sie sechs bis acht Jahre alt sind. „Einige Tiere haben Leittierfunktion und stehen häufig bei mir, da tut es mir weh“, verrät die Schäferin. „Mit den anderen setze ich mich nicht emotional auseinander – sonst wird es schwierig.“
Schwierig könnte es auch für allzu neugierige Ziegen werden, die dem Neugeborenen zu nahe kommen: Notfalls setzt die Mutter ihre Hörner ein, um sie auf Abstand zu halten. Für den Bock besteht diese Gefahr derzeit nicht. Der tut so, als hätte er mit dieser Geburt nichts zu tun.
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