Kuh verinnerlicht

Tierisch: Das Gerhard Marcks Haus zeigt in seiner Retrospektive „Der Zoo, die Wildnis und die Weide“ Tierplastiken von August Gaul bis Joseph Beuys

Die Löwin war vermutlich der Befreiungsschlag. Das Ende für August Gaul und sein Dasein als Spezialist für Ornament-Löwen in Kaiser-Wilhelm-Denkmalen. Keine opulenten Mähnen mehr. Kein in Stein gehauener Ausdruck politischer Macht. Sondern einfach nur streichelbare glatte Formen, Kunst und nicht mehr Deko.

Mit dieser Löwin fing dann auch alles an. Gaul goss mit ihr zu Beginn des noch frischen 20. Jahrhunderts nicht weniger als den Start der modernen deutschen Bildhauerei. Just von diesen Anfängen und ihren Veränderungen bis 1960 erzählt die neue Ausstellung im Gerhard Marcks Haus (“Der Zoo, die Wildnis und die Weide“). In der sich fast alles nur ums liebe Vieh dreht.

Um Exoten zuerst. Denn bildnerisch und inhaltlich waren Elefanten, Tiger, Orang Utans zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts ziemlich en vogue. Schließlich waren Zoos noch eine relativ junge Erfindung. Und nicht nur die Tiere, sondern auch ihre Abbildungen ziemlich gefragt. So konnte jener Herr Gaul, der bis auf einen einzigen Menschen („Merkur“) nie etwas anderes als Tiere fertigte, schon 1915 mit einem „kleinen Tierpark“ aus Miniatur-Plastiken die Liebhaber in deutschen Wohnzimmern fürs Exotische bedienen.

Bei den wilden Tieren ist es aber nicht geblieben. Nach und nach gingen die Künstler statt in den Zoo lieber auf die Weide. Und portraitierten die heimische Fauna: Also röhrende Hirsche (zweimal im Gerhard Marcks Haus), weidende Kühe, die um 1920 prompt zum Lieblingstier der expressionistischen Bildhauer avancierten (achtmal zu sehen). Auch von Gerhard Marcks ist ein liegender Wiederkäuer aus Lindenholz beigesteuert, dessen Kuh aber keinesfalls „als Symbol der Kuhheit“ missverstanden werden sollte, wie Marcks 1924 notierte. Ihm ging es um das innere Bild und nicht um die Viehcher.

Ein Hauch von Zivilisationsflucht klingt da an. Ewald Mataré, Lehrer von Beuys und Produzent der meisten Kuh-Skulpturen dieser Schau, war die Menschen leid geworden. Er versuchte, so wenig wie möglich mit Zweibeinern zu tun zu haben und ging lieber raus auf die Weiden.

Und dann die domestizierten Tiere. Wieder ein Kapitel für sich. Das Gerhard Marcks Haus zeigt Hunde in allerlei Formen. Und schließlich Pferde in quasi allen Positionen: „Wartendes Pferd“, „Ruhendes Pferd“ und „großes gesatteltes Pferd“, das in Lebensgröße und mit böse angelegten Ohren Raum und Faszination der Betrachter erfüllt.

Neben den Inhalten, den Tieren, geht es den Ausstellungsmachern aber noch um anderes: Die Formensprache und ihre Entwicklung von Gaul bis Beuys. Von Neoklassizistisch bis modern bis abstrakt: Gut 50 Jahre Kunstgeschichte, die hier am Tierleib nachvollziehbar gemacht werden.

Als erster hat August Gaul selbst die Überleitung von aufwändigen Fell-Reliefs zu glatten Konturen geschaffen. Die Bildhauerkunst sollte nicht mehr nur zum Angucken sein, sondern auch zum Zufassen: Handschmeichler. Doch da hat das Gerhard Marcks Haus vorgesorgt und die lockenden Objekte wohlweislich hinter Glas gepackt, damit sie sich durch stetes Grabschen nicht auflösen.

Vor allem im Nationalsozialismus haben sich die Bildhauer auf die Tiere gestürzt. Kühe und Hunde ließen sich ideologisch schließlich kaum vereinnahmen. Und während kubische Elemente bei menschlichen Figuren bereits als „entartet“ galten, wurden Abstraktionen bei Tierplastiken lange noch geduldet. Laut Katalog wurden Tierkörper für die Bildhauer schließlich zum „Rückzugsgebiet in Zeiten der Diktatur“.

Die tierische Neu-Entwicklung in der Bildhauerei endet in den 60er Jahren. Mit Josef Beuys der die Gegensätze zwischen Mensch und Tier aufheben wollte. Als sich ohnehin in der Gestaltung immer mehr Form und weniger Tier durchsetzte. Geblieben ist vom Elefanten bei Otto Baum nur noch ein “Lochofant“ mit angedeuteten Riesensegeln und einem großen Loch im Leib. Oder von Richard Haizmanns anthroposophischem „Das Ich der Adler“ wenig Vogel aber viel gold-polierte Aura.

Dorothee Krumpipe

Eröffnung: Sonntag, 28. Juli, 11.30 Uhr. Begleitend zur Eröffnung präsentiert der Zirkus Kaiser eine Auswahl seiner exotischen Tiere zwischen 10 und 16 Uhr auf der Wiese gegenüber in den Wallanlagen. Der Katalog zur Ausstellung „Der Zoo, Die Wildnis und die Weide“ kostet 18 Euro. Die Ausstellung ist bis zum 21. Oktober zu sehen.