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Immer wieder baden gehen

In der Sonne braten, lauwarmes Bier trinken, auf der Luftmatratze dümpeln und neidisch auf jugendliche Waschbrettbäuche schielen. Der Sommer am See hat erschreckend viel zu bieten

von CHRISTINE BERGER

Die Freizeit verbringt der gemeine Deutsche im Sommer gern am Wasser. Schleppt Luftmatratzen, Sonnenschirm, Klappliegen, Kühltaschen, Federballschläger, Radio und Sixpacks ans Ufer eines Gewässers und macht es sich gemütlich, dicht an dicht mit vielen anderen, die es auch nicht besser wissen.

Warum er das macht, ist eigentlich ein Rätsel. Nicht nur wegen der Schlepperei, sondern wegen des Lärms im Strandbad, des penetranten Fritierfettgeruchs von der Imbissbude, des Sandes, der zwischen den Zähnen knirscht und schließlich der unzähligen Gemeinheiten, die ein See zu bieten hat. Etwa Glasscherben, in die besonders Kinder gerne reintreten, oder Algenschaum und der Geruch nach Moder und Fäulnis während der heißen Tage.

Das Aufbauen einer klassischen familiären Trutzburg, inclusive Aufblasen des Schlauchbootes, dauert ungefähr eine Stunde. Dann macht man es sich bequem. Während die Kinder im Wasser toben, liegen die Erwachsenen apathisch darnieder und lassen das Hirn in der Sonne brutzeln. Nicht lange jedoch, denn garantiert lauert irgendwo eine dunkle Wolke, die Böses verspricht – ein Gewitter oder gar einen Sturm. Dann heißt es alles schnell einpacken, die nassen Badeanzüge in sandige Handtücher einrollen, den Autoschlüssel im Ufergestrüpp suchen und hoffen, dass die brüllenden Gören, die partout noch nicht nach Hause wollen, sich bald wieder beruhigen.

Mit etwas Glück klart der Himmel auf, sobald die ganze Bagage im Auto sitzt. Dann geht der Zirkus von von vorne los, und das Picknick am See kann doch noch stattfinden. Kartoffelsalat und Buletten wandern auf Pappteller, die Limo fällt um und ergießt sich über Toastbrot und Chipstüte. Großes Geschrei, und das verdorbene Gut landet erst mal im Gebüsch. Das wiederum lockt eine Horde Schwäne an, die sich bedrohlich der Picknickdecke nähert und ihren Anteil verlangt. Mutig verscheucht Mutter die potenziellen Mitesser und latscht barfuß in den grünweißen Klacks Schwanendreck, den ein Tier vor lauter Schreck fallen gelassen hat. Derweil haben sich die Fliegen auf den Buletten niedergelassen und längst das eine oder andere Ei gelegt. Das Bier ist lauwarm und der Regen kommt doch noch. Es ist ein Graus und belegt, dass der Mensch am Ende doch nur immer wieder die Grenzen seiner Leidensfähigkeit austestet. Besonders im Sommer, wenn die vermeintlich Weite des Sees gegen die Enge der Wohnung eingetauscht wird. Hartnäckig behauptet sich der Traum von der Strandidylle in den Köpfen und wird nie und nimmer als das gesehen, was er ist: ein Abptraum.

Rund zweihundert Badeseen locken allein in Brandenburg die Menschen regelmäßig an ihre Ufer. Zwingen sie dazu, sich auszuziehen und leider viel zu oft nichts Passendes mehr anzuziehen. Da schwabbeln Bäuche in freier Wildbahn, Orangenhaut und Hängepo allerorten. Dass jeder zweite Deutsche zu fett ist, wird am Wasser geradezu brutal vor Augen geführt.

FKK ist im Osten besonders unter Senioren sehr beliebt. Selbst auf Campingplätzen frühstücken nackte Mittsechziger mit Blick auf den See, der zum Baden eher selten aufgesucht wird. Nett verpackt in Bikini oder Badehose schwimmen dagegen vor allem die Jüngeren, die entblößt noch am ehesten ein Ebenbild abgeben würden.

Da sehnen sich Ästheten nach den guten alten Zeiten zurück. 1870 etwa gingen Frauen nur in aufwändigen Seidenkleidern mit Litzenverzierungen baden. Zur Jahrhundertwende war der Marinelook modern. Die tunikaartigen Überkleider der Frauen verbargen Fischbeinkorsetts und wadenlange Hosen. Auf dem Kopf trug die trendbewusste Dame einen helmartigen Stroh- oder Stoffhut als Sonnenschutz.

Die Badehosen der Männer reichten in jedem Fall bis zum Knie. Das änderte sich erst in den 20er-Jahren, als das kniefreie Badetrickot für Männlein und Weiblein modern wurde. Seither ist die Bademode immer kürzer und knapper geworden, bis irgendwann so gar nichts mehr übrig bleiben wollte.

Doch Hoffnung ist in Sicht: FKK ist out, jedenfalls unter den Jüngeren. Selbst auf den Münchner Isarauen werden die „Nackerten“ immer seltener, weshalb nun sogar das Fremdenverkehrsamt der Bayernhauptstadt um ihre Touristenattraktion bangt. Etliche Japaner hätten sich Gerüchten zufolge darüber beschwert, dass es immer weniger junge Schönheiten und nur noch verbrauchte Alt-68er auf den Wiesen der Münchner Innenstadt zu spannen gäbe. Der Grund: Frauen und Männer im besten Alter findet man heute eher joggend im Park als faul und nackt auf der Wiese.

Längst gibt es auch am Wasser einen Trend zur Fitness. Surfen, Paddeln, Tauchen oder Wasserskifahren sind für viele der Hauptgrund, sich auf See zu begeben. Und statt Sixpacks oder Schüsseln mit Kartoffelsalat zu stemmen, kraulen junge Väter und Mütter lieber durch den See und genießen die Leichtigkeit des Seins. Bringt man an Land nämlich runde 70 Kilogramm auf die Waage, sind es im Wasser nur 7. Und da der Wasserwiderstand 790 mal stärker ist als der in der Luft, ist eine Minute Schwimmen so viel wert wie ungefähr fünf Minuten Trockenpaddeln an Land. Das dürfte Grund genug sein, den ganzen Klumpatsch wie Kühltaschen und Liegestühlen zu Hause zu lassen. Einfach die Badehose an und rein ins Wasser!

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