Der Stein gewordene Wahn

Ceaușescus Palast, mitten im Herzen von Bukarest, ist Wahrzeichen einer grausamen Diktatur und begehbares Konstrukt des Größenwahns. Ein Spaziergang durch das „größte Gebäude der Welt“

19 Meter hohe Decken, schlechte Akustik – wo sind die Toiletten? Ratlosigkeit.

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Sie sind berüchtigt, die Häuser des Volkes, in den Staaten, in denen das Volk nichts zu sagen hatte. Paläste ausgemergelter Ökonomien, die selbst einem Sonnenkönig ob ihrer Grobschlächtigkeit missfallen hätten. Aber gerade hier verspürt der Reisende den Schauer, den die Erinnerung an die jüngste Geschichte noch verströmt. Bilder im Kopf von Revolution und Empörung. Allein der Palast des Nicolai Ceaușescu, dieses kleinwüchsigen „Titanen der Titanen“, ist ein solcher Ort, den man einmal besuchen möchte, so wie die Fahrt in einer Geisterbahn reizt.

Als der Diktator 1989 aus dem Leben scheiden musste, war sein Traum eines Verwaltungsschlosses erst zu zwei Dritteln vollendet. Die Baukräne ragten über das kolossale Gebäude hinaus, als Ausrufezeichen einer monströsen Vergeblichkeit. Der Bauherr wollte schlichtweg „jede Dimension sprengen“. In der „Casa Republicii“ sollten sämtliche Organe des Staates ihren Platz finden, räumlich dem Diktator unterstellt. Eine kindische Idee von Herrschen.

Nach heftiger Debatte entschloss sich das neue, demokratische Rumänien, das Ungeheuer zu vollenden, eine Altlast, die bereits zu viele Ressourcen verschlungen hatte, um sie aus Wut dem Erdboden gleichzumachen. 17.000 Bauarbeiter sollen daran geschuftet haben, Lohn haben sie dafür kaum gesehen, Reservisten wurden zu sechsmonatigen Frondiensten eingezogen. Ein nationales Krebsgeschwür ist entstanden, das niemand mehr wegoperieren konnte. Elf lange Jahre haben die Rumänen einen Großteil ihrer Kraft und ihrer Schätze hier verbaut.

Allein die Statistik des Gebäudes ist Schwindel erregend. 700 Architekten arbeiteten in 16 Teams. 340.000 Quadratmeter Fläche haben sie geschaffen. 3.107 Räume. Eine Million Kubikmeter heimischer Marmor wurde zersägt, angeliefert in über 300 Zügen. 3 Milliarden Dollar wurden ausgegeben. 20 Prozent der Altstadt Bukarests wurde abgerissen, um Platz zu schaffen, schöne Patrizierhäuser und Jugendstilvillen.

Unglaublich, dass dieser steinerne Irrgarten erdacht wurde von der damals 28-jährigen Architekturabsolventin Anka Petrescu. Weder war sie Ceaușescus Geliebte, noch hatte sie zuvor Bedeutendes geleistet. Ihr Entwurf gefiel dem „Conducator“ einfach am besten. Petrescu soll heute Alkoholikerin sein, sagen die einen. Die anderen nennen sie nur eine Hysterikerin, die gelegentlich noch auf einem der zahllosen rumänischen Fernsehkanäle auftaucht.

Hinein geht es in den Steinhaufen durch Eingang A, B, C oder S oder M oder was auch immer – es hängt davon ab, welche Funktion ein Mensch hat und wohin er will. Schließlich arbeiten Beamte und Mieter in den oberen Stockwerken und wischen Putzkolonnen durch die hunderte Meter langen Gänge. Besucher müssen erst ihre Taschen durchleuten lassen und sozialistisch blickende Wachleute passieren. Dann empfangen vielsprachige Damen und Herren die Neugierigen, um sie durch die repräsentativen Regionen dieses kommunistischen Wunderlandes zu lotsen. Ein Rundgang durch den ersten Stock dauert immerhin gute zwei Stunden.

700 Architekten arbeiteten in 16 Teams. 3.107 Räume haben sie geschaffen.

„Jeder Saal hat seine Besonderheit, hier haben wir den Seidensaal, hier den rosa Saal“, hallt es auf verschiedenen Sprachen durch die Marmorflure. Das Gesäusel und Geschlurfe der einzelnen Gruppen trifft an den Kreuzungen aufeinander und vermengt sich. Vorfahrt hat stets das Gefühl, dem Diktator auf einmal unheimlich nah zu sein. Man sieht ihn, wie er, umgeben von einem Schwarm Securitate-Fliegen, die Architekten aufscheucht. Er soll ja jeden Bauschritt selbst überwacht haben. Eine der galareifen Marmortreppen musste zweimal wieder abgerissen werden, bevor der Mann zufrieden war. Er konnte nämlich keine Baupläne lesen, erzählt die Führerin. „Eklektisch“ sei der Baustil, und man kann nichts Schlimmes daran vermuten, so korrekt wie sie das sagt.

Tonnenschwere Kandelaber aus siebenbürgischem Kristall, hier der größte, nebenan der zweitgrößte Rumäniens. Darunter Teppiche, die die Geometrie der Saaldecken nachbeten. 1.000 Sitzplätze, 19 Meter hohe Decken, schlechte Akustik, schlechte Luft – wo sind denn die Toiletten? Ratlosigkeit. „Die Räumlichkeiten stehen heute internationalen Kongressen zur Verfügung, bei unserem Büro für internationale Kongresse erhalten sie eine Preisliste“, sagt die Dame und schließt hinter sich die Tür zu einem dieser Orte. Eine Klimaanlage wollte Ceaușescu auf keinen Fall. Er soll stets Angst gehabt haben, vergiftet zu werden. Dinge, die er berühren wollte, mussten vor seinen Augen desinfiziert werden. Sein Büro trägt die Nummer 1, das seiner Frau Elena die Nummer 2. Unzugänglich für Einblicke; man will den Diktator vergessen.

Dabei sprechen die Rumänen über ihn noch viel zu oft. Das Vergangene ist nicht bewältigt. Anders als bei Mao Tse-tung, den die Chinesen längst kokett zum Popstar stilisieren, findet sich von Ceaușescu nicht einmal eine Postkarte in den Souvenirläden des Palastes. Marienikonen und Glasvasen soll der Besucher als Andenken erwerben. Damit bleibt sich die Wirklichkeit wenigstens treu. Denn zahlreiche Nonnen haben die Goldbordüren der haushohen Samtvorhänge für die Prachtsäle im ersten Stock des Palastes gestickt. In Handarbeit dokumentierte Willfährigkeit. Die orthodoxe Kirche hatte kein Problem mit dem menschenverachtenden System. Der Sitz des Patriarchen ist nur einen Steinwurf vom Ceaușescu-Sitz entfernt, er blieb völlig unangetastet. Manchmal können widerstreitende Ideologien sich harmonisch ineinander fügen. Da muss es nicht verwundern, dass in der Ehrengalerie des ersten Stocks plötzlich vatikanische Renaissancebilder hängen. Johannes der Täufer, Jesus, Heilige. Im letzten Jahr drehte hier der griechische Filmemacher Costa Gavras einen Vatikan-Film. Für die Kulisse beklebte er die leeren Marmornischen mit den auf Plastikfolie kopierten Meisterwerken. „Wir haben sie hängen lassen“, sagt die Führerin, „sie sehen doch ganz gut aus.“