Die Kunst der Formulierung

Ein Wilhelmsburger Anzeigenblatt macht Stimmung gegen AusländerInnen und Linke. Verleger Müller meint, die Bild-Zeitung mache das auch nicht anders, und Ole von Beust lässt schon mal grüßen. Ein Betroffener stellte jetzt Strafanzeige

Müller sieht sich als „wertkonservativ“ und mag auch „Türken ganz gern“.

von MATHIAS WÖBKING

Das trage schon Züge einer Provinzposse. In dieser Einschätzung sind sich Gisbert Müller und Manuel Humburg ausnahmsweise einig. Doch bei aller vordergründigen Gelassenheit: Die beiden Wilhelmsburger sind stinksauer aufeinander. Müller ist Verleger und Redakteur des Wilhelmsburger Lokalboten, der in zwei Ausgaben in Wilhelmsburg und Rothenburgsort mit 50.000 Exemplaren erscheint. Humburg ist Arzt in dem Stadtteil und engagiert sich im Forum Wilhelmsburg „gegen die Ausgrenzung von Menschen anderer Haut- oder Haarfarbe“.

Humburg wird in Müllers Anzeigenblatt als „ideologischer Kopf der linken Szene“ vorgestellt. In der Ausgabe vom 30. Mai ist über Humburg zudem zu lesen: „Ob er auch Gefälligkeitsatteste für Asylbewerber ausschreibt, (...) kann schwer bewiesen werden.“ Gegen diese Spekulation wehrt sich der Arzt nun mit einer Strafanzeige. AsylbewerberInnen gebe es unter seinen PatientInnen ohnehin nur wenige. Ob die Klage Erfolg hat, ist jedoch fraglich: Müller weiß offenbar genau, welche Formulierungen er benutzen darf, ohne sich angreifbar zu machen. „Ich mache die Arbeit seit 34 Jahren“, sagt er. In dieser Zeit habe er nur eine Handvoll Gegendarstellungen veröffentlichen müssen.

Gegen Ziffer 12 des Pressekodex verstößt der Lokalbote dagegen regelmäßig: In den zahlreichen Polizeinachrichten wird die Nationalität nicht-deutscher StraftäterInnen auch dann erwähnt, wenn diese für das Verbrechen ohne Bedeutung ist. Nach Ansicht des Deutschen Presserates schürt diese Praxis Vorurteile. Eine Meldung handelt zum Beispiel von zwei „südländisch aussehenden Kindern“, die eine Frau überfallen haben. Zufällig ist auf derselben Seite das Foto eines Wilhelmsburger Kleidermarktes als „orientalischer Basar“ unterschrieben, und eine Zwischenzeile im dazugehörenden Artikel lautet: „Kriminalität mehr als verdoppelt“. Dass zwischen den einzelnen Informationen ein Zusammenhang bestehe, behauptet der Lokalbote nicht ausdrücklich. Sie stehen einfach nebeneinander, die Interpretation bleibt den LeserInnen überlassen. „Die Bild-Zeitung macht das genauso wie ich“, rechtfertigt sich Müller.

Im Alter von 24 Jahren trat er 1968 die Nachfolge des Blattgründers an, seines damals gestorbenen Schwiegervaters. Bis heute schreibt Müller die Texte im Lokalboten weitgehend selbst. In der Betreuung der Anzeigenkunden werden er und seine Frau seit einigen Jahren von Gerd Hardenberg unterstützt, der für die Schill-Partei in der Bürgerschaft sitzt.

Müller selbst ist Mitglied der CDU und charakterisiert sich als „wertkonservativ“. Er möge „Türken ganz gern“, sagt er, nur dürfe ein Stadtteil „nicht kippen“. Wilhelmsburg und die Veddel sehe er in dieser Gefahr. Dem Statistischen Landesamt zufolge haben dort 34,1 Prozent der EinwohnerInnen keinen deutschen Pass. Die angebliche Sympathie Müllers für Türken kann Erdem Ersay, der seit 40 Jahren in Hamburg lebt, im Lokalboten allerdings nicht entdecken: MigrantInnen würden dort pauschal verurteilt, ist sein Eindruck. Im Namen des „Bündnis Türkischer Einwanderer“ beschwerte er sich im März 2000 in einem Brief über ausländerfeindliche Tendenzen in dem Anzeiger. Weil sich Ersay gleichzeitig an türkische Anzeigenkunden des Lokalboten wandte, drohte der Verleger mit rechtlichen Schritten.

Auch Ursula Falke vom Kirchenvorstand der St. Raphael-Gemeinde findet es gefährlich, wie im Lokalboten „mit den ausländischen Mitbürgern umgegangen wird“. Nachdem sie vor drei Jahren im Wilhelmsburger Ortsausschuss eine Anfrage zu diesem Thema gestellt hatte, verabschiedete die damalige rot-grüne Mehrheit gegen die Stimmen von CDU und DVU eine symbolische Resolution, die sich gegen Müllers scharfen Ton wandte. Seither wurde Falke allerdings im Lokalboten wiederholt persönlich angegriffen. Falke sei „mit ihren Aktivisten aus der linken Szene hoffnungslos in der Minderheit“, war etwa zu lesen. „Manchmal frage ich mich schon, was nach solchen Artikeln Leute über mich denken, die mich nicht kennen“, sagt sie.

Friederike Raum-Blöcher weiß Müller schon deshalb zum Gegner, weil sie als „Pastorin für Verständigungsarbeit“ die Aufgabe hat, zwischen den Bevölkerungsgruppen zu vermitteln. Als sie im örtlichen Gemeindebrief Gemeinsamkeiten von Islam und Christentum darstellte, suchte Müller daraufhin nach Unterschieden zwischen beiden Religionen. Auf derselben Seite befand sich eine Meldung über Christenverfolgungen in muslimischen Teilen Indonesiens – in einem lokalen Anzeigenblatt.

Wenn der Lokalbote über WilhelmsburgerInnen berichtet, die das Blatt „den Linken“ zuschreibt, unterlaufen immer wieder „Druckfehler“. Axel Trappe etwa, Geschäftsführer des Wilhelmsburger Bürgerhauses, tauchte mehrfach als „ATrappe“ auf. „Der Punkt fehlt halt mal“, sagt Müller. „Das ist dann schon die richtige Namensbezeichnung.“ Humburg wird von Müller im Gespräch immer „Humbug“ genannt: „Manchmal vergesse ich das ‚r‘ schon mal“, sagt er. Auch in seinem Blatt. „Man sollte diese Schreibe nicht überbewerten“, sagt Humburg. Dennoch fühle er sich im Lokalboten oft geradezu „zum Abschuss freigegeben“.

Für Trappe sind die verbalen Attacken nicht allein politisch motiviert, sondern auch finanziell: Er selbst und Falke wirken in der Redaktionsgruppe des Wilhelmsburger Insel-Rundblick mit, einer als schwarzes Brett konzipierten monatlichen Stadtteilzeitschrift, die ebenfalls von Anzeigen getragen wird. Dass der Insel-Rundblick dem Lokalboten das Geschäft vermiese, wie es Trappe vermutet, sieht Müller zwar anders. Tatsächlich aber erscheint der Lokalbote in Wilhelmsburg mittlerweile nur noch alle vier bis sechs Wochen. Gegenüber der taz bestätigte der Sprecher eines ehemaligen Werbekunden, dass die Anzeigen im Lokalboten zurückgezogen wurden, weil die politische Ausrichtung dem Unternehmen nicht gefalle. Dem Blatt gegenüber sei die Kündigung allerdings wirtschaftlich begründet worden.

Auch über die Grenzen Wilhelmsburgs hinaus hat der Lokalbote schon für Aufsehen gesorgt: Als CDU-Bürgermeisterkandidat setzte sich Ole von Beust im Januar 2001 in Müllers Wohnzimmer aufs Sofa. „Bei der Wohnungsbelegung müssen Deutsche bevorzugt werden“, wurde er danach im Blatt zitiert. Im Gegensatz dazu hatte Ortwin Runde (SPD), damals Bürgermeister, dem Verleger in einem Brief vorgeworfen, Neutralität zu heucheln und „gleichzeitig die hetzenden Äußerungen der anderen genüsslich in Überschriften“ hervorzuheben. Beust soll auf Rundes Brief laut Lokalbote gesagt haben: „Das darf doch wohl nicht wahr sein.“ Heute hält Beusts Pressesprecher Klaus May die Angelegenheit für „peinlich“. Er meint damit den Brief des Sozialdemokraten, und nicht den Trost, den der CDU-Politiker dem Lokalboten spendete.