Kreative Aggregatzustände

Kunstwerk oder Getränkestand? Der Aktionstag des Künstlerhauses im Güterbahnhof bot zahlreiche interpretatorische Freiräume. Da es immer noch keinen Heizungsersatz gibt, stellt man sich mit „Schockgefroren“ frühzeitig auf den Winter ein

Anders als bei der Eroberung von Lagerhaus und Schlachthof als Orte der Kultur ging der Umnutzungsprozess am Güterbahnhof bisher eher heimlich, still und leise vonstattenEs kann nicht Aufgabe der KünstlerInnen sein, über ihre Verwertung nachzudenken

„Personaleingang“ steht da. Übriggeblieben, wie viele Schilder und Beschriftungen. Sie weisen auf Funktionszusammenhänge hin, immer noch. Obwohl das System, in dem sie orientierend funktionieren könnten, nicht mehr besteht. Die Schilder sind nicht aus der Welt. Eher ist ihnen eine Welt verloren gegangen.

Indem ein Kunstprojekt „Güterabfertigung“ heißt, in dem gut siebzig Künstlerinnen und Künstler qua Geschichte des Ortes zum „Personal“ werden, entsteht ein gigantisches Arsenal von Metaphern und Bedeutungen. Nun könnte man sagen, das alles sei Zufall. Hätte das Freie Künstlerhaus – eines der größten dieser Art in der Bundesrepublik – woanders einen Ort gefunden, würden eben andere Schilder dort stehen. Oder gar keine.

Mag sein. Jedoch lassen sich diese Zufälle interpretatorisch nutzbar machen. Zumal die KünstlerInnen und ihre zahlenmäßig geringe, dafür umso engagiertere kulturpolitische Lobby selbst das Reich des Symbolischen und Metaphorischen bemüht, um das zu erreichen, was man gemeinhin Öffentlichkeit nennt.

„Schockgefroren“ heißt dieser freundliche Aktionstag in Sachen Freier Kunst. Er heißt deshalb so, weil man (ausgerechnet am ersten wirklich heißen Tag nach Wochen) darauf hinweisen will, dass mit dem nächsten Winter, der bekanntlich bestimmt kommt, auch das große Frieren ins Haus steht. Die Heizungsanlage ist nämlich nicht einfach kaputt, sondern abgebaut worden – weil die ursprüngliche Nutzung des Areals ja nicht mehr ist, folglich auch keine Notwendigkeit für den Bestand der Anlage besteht.

Das Problem entsteht in dem Moment, da es eine andere, neue, freie, gewissermaßen ‚wilde‘ Nutzung gibt. Anders als bei den großen Umnutzungsprojekten vor ungefähr zwanzig Jahren, aus denen etwa Lagerhaus und Schlachthof hervorgingen, ging’s hier eher heimlich, still und leise zu. Was dabei bis dato herauskam, wurde also nun mit einem etwas anderen „Tag der offenen Tür“ großräumig vorgestellt.

Draußen kann man Kunstwerk mitunter kaum von Getränkestand unterscheiden. Von hier und dort klingt Musik unterschiedlichen Stils über den großen Innenhof zwischen den Schuppen. Und im ehemaligen Verwaltungsgebäude sind viele Ateliers geöffnet. Drin sitzen KünstlerInnen Rede und Antwort, arbeiten zwischendurch an aktuellen Projekten. Die Atmosphäre ist entspannt, niemand geht hier auf Kampflinie.

Zugleich artet es nicht in „fröhlichem Künstlerbegucken“ aus. Sehr angenehm. An diesem Projekt fasziniert nicht nur, dass eine Unternehmung dieser Größenordnung bereits beachtliche fünf Jahre in Eigenregie betrieben wird, sondern auch, dass unzählige Ansätze und Zugänge friedlich nebeneinander bestehen. So kann man das ganze Projekt schätzen, ohne jedes einzelne Kunstprodukt toll zu finden. Dazu gibt’s noch eine Podiumsdiskussion, zu der die SPD-Fraktion gemeinsam mit sich solidarisierenden Einrichtungen wie dem Gröpelinger Lichthaus und dem Jungen Theater geladen hat. Denn: „Selten ist eine Bremer Brache so sinnvoll belebt worden, wie am Güterbahnhof“ – sagt SPD-Kulturfrau Carmen Emigholz, die öffentlichen Rückhalt für das Projekt verspricht.

Das Thema der Diskussion: „Kreative Nischen im urbanen Leben“. „Nische?“, wundert sich Norbert Bauer, der als Vertreter des Künstlerhauses auf dem Podium sitzt. „Das klingt nach Besonderem. Dabei ist unsere Forderung eine ganz unbesondere – wir wollen nämlich schlicht unsere Arbeit machen.“ Recht hat er. Denn wie auch immer Künstlerin und Künstler die Relevanz der eigenen Arbeit in gesellschaftlichen Kategorien definieren mag, es kann nicht Aufgabe derjenigen sein, die die „Güterabfertigung“ beleben und betreiben, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Existenz des Künstlerhauses – Stichwort Lebensqualität, Stichwort Stadtentwicklung – wohl zu verwerten ist.

Einvernehmlich wird der offene Prozess begrüßt, der sich zwischen Zulassen und Ermöglichen, zwischen Bestand und Fluktuation ergeben hat. Kritisiert wird fehlende Sensibilität von Politik, Ökonomie und lokaler Presse, die immer noch nicht verstanden habe, dass Kunst in dieser Form mehr sei als eine nette Nebensache. Und wieder wird das Lieblingsbeispiel in Sachen Kunst und Stadtentwicklung benickt: Glasgow.

Im Hintergrund blinkt die metropolitane Silhouette der LateNight-Deko. Tatsächlich scheint auch in der Diskussion ab und zu etwas Metropolitanes auf – wäre schön, wenn hier mal ästhetischer Eigen-Sinn und der derzeit so viel beschworene Bürger-Sinn eine Verbindung eingingen, die sich nicht auf überhebliche Eingriffe konzentriert.

Irgendwo im Erdgeschoss hängt ein kleines Schildchen. „Rollrichtung“ stand mal drauf. Jemand hat ein „P“ davor geschrieben. Möge dieses Schicksal diesem faszinierenden Projekt erspart bleiben.

Tim Schomacker