Nach der Lehre kommt doch nicht die Karriere

In Berlin begann ein Präzedenzverfahren. Es klärt, ob Konzerne wie Siemens und Bosch Lehrlinge ohne Übernahmejahr vor die Tür setzen können

BERLIN taz ■ Ihre flotten Staubsauger sind legendär. Doch um ihren Nachwuchs kümmern sich die Siemens AG und ihr Partner Bosch nur noch bedingt. Zwar verfügen sie mit ihrer Berliner Lehrwerkstatt über eine der größten in Europa – aber der Azubi-Bestand, der kürzlich noch bei 1.300 lag, wurde bereits auf 800 reduziert. Und auch die fertig Ausgebildeten möchten die Lehrherren offenbar loswerden.

Das Präzedenzopfer: die 19-jährige Industrieelektronikerin Anne Trendelenburg. Sie begann 1999 ihre Ausbildung und machte vorzeitig im Juni dieses Jahres ihren Abschluss. Üblich, weil konform mit dem Betriebsrecht, wäre ihre Übernahme als Vollzeitkraft für mindestens ein Jahr. Jedoch: Einen Tag vor der Prüfung erfuhr sie, Bosch wolle ihr lediglich 19 Wochenstunden zahlen. „Davon kann kein Mensch leben“, entschied sie – und zog, von der IG Metall und dem DGB energisch unterstützt, vor Gericht.

Im Zimmer 521 des Berliner Arbeitsgerichts drängten sich letzten Freitag die Zuschauer. Bekannt ist Trendelenburg in Gewerkschaftskreisen ohnehin: als Jugendvertreterin der Siemens AG. Wurde sie wegen ihres betriebspolitischen Engagements vors Werktor gesetzt? Rechtsanwalt Andreas Schirp, der Siemens und Bosch vertritt, beteuert, man habe in Berlin keine Verwendung. Zwecks Stellenantritt nach Bayern zu verziehen, lehnte Trendelenburg aber ab. Zivilisten dürfen in Deutschland auf freie Wohnortwahl pochen. Die Aussichten, eine einjährige Beschäftigung in Berlin gerichtlich zugesprochen zu bekommen, stehen gut.

Doch hier geht es nicht nur um den Einzelfall, hier geht es ums Exempel. Deshalb gibt es Zwischenrufe bei Gericht und deshalb gönnen sich Siemens und Bosch einen so listigen wie aufwändigen Schachzug: Die Verklagten reichten selber Klage ein – gegen Trendelenburg, gegen den Betriebsrat und gegen die Siemens-Jugendvertretung. Juristisch geht es in den Prozessen zunächst um Spitzfindigkeiten, etwa darum, welche Firma für Trendelenburg vorrangig zuständig ist, da Siemens sie im Auftrag von Bosch ausbildete.

Politisch geht es indes um die Möglichkeit der Arbeitgeber, mit der Einsparung von Jungarbeitnehmern ganze Standortabwicklungen einzufädeln. Schon letzte Woche geriet Siemens in die Schlagzeilen: Die weltweit etwa 12.000 Mitarbeiter beschäftigende AG will in Berlin rund 500 Arbeitsplätze streichen. Sollte der Prozess gegen Trendelenburg gewonnen werden, könnten die Unternehmen verstärkt bei der Übernahme der Azubis sparen. Ein krank geschrumpfter Konzern aber wird kaum ein starker Partner der Gewerkschaft sein.

Trendelenburgs Richterin hatte im Februar schon mal wegen eines ähnlichen Falls mit Siemens zu tun – und sprach dem Kläger, einem Exlehrling aus Berlin-Siemensstadt, eine hohe Abfindung zu: ein volles Jahresgehalt, nebst Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Die Akte Trendelenburg hingegen lässt sich nicht auf finanzieller Vergleichsbasis schließen: Die junge Frau will was tun für ihr Geld. Nur weiß im Moment niemand, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis besteht: Darüber befindet das Gericht am 13. August. GISELA SONNENBURG