Journalist im Zeugenstand

Erstmals soll ein Zeitungsreporter als Zeuge der Anklage vor dem UN-Tribunal aussagen. Der will nicht. Die Anklage will ihn notfalls zur Aussage zwingen

DEN HAAG taz ■ Journalisten übernehmen Verantwortung für das, was sie schreiben. Eine Binsenweisheit, doch mit ungeahnten Folgen, seit es das UN-Tribunal gibt. Jonathan Randal, pensionierter Reporter der Washington Post, könnte der Erste seiner Zunft sein, dem die Zwangsvorladung vor das Hohe Gericht droht. Die Ankläger im Prozess gegen Slobodan Milošević wollen Randal zur Aussage über Vorfälle in Bosnien im Jahre 1993 zwingen. Doch der mag nicht aussagen. Hinter ihm weiß er die Chefredaktion der Washington Post, die die Freiheit zur Recherche prinzipiell gefährdet sieht, sollte sich künftig jeder Journalist auch noch Jahre nach einem Ereignis vor einem UN-Tribunal für das verantworten müssen, was er einmal im Eindruck des Augenblicks niedergeschrieben hat.

Die Ankläger in Den Haag lassen diese Argumente nicht gelten und drohen ihrerseits damit, den in Paris lebenden US-Amerikaner notfalls durch die französische Polizei verhaften zu lassen. Sie argumentieren, Randal müsse sich Milošević im Kreuzverhör stellen und möglicherweise unangenehme Fragen über sich ergehen lassen, ob das, was er einst über den Kriegsverlauf in Bosnien schrieb, der Wahrheit entsprach oder nicht. Und ob die Geschichte gut recherchiert war oder eben mit Fehlern behaftet.

Derzeit ist völlig offen, wie der Fall Randal ausgehen wird. Aus Sicht von Journalistenverbänden ist das Verhalten der UNO-Ankläger untragbar. Denn sollten Reporter künftig von beteiligten Parteien eines bewaffneten Konflikts als potenzielle Zeugen einer Anklage vor einem Kriegsverbrechertribunal oder dem neuen Internationalen Strafgerichtshof wahrgenommen werden, würden sie diese nie mehr in ihre Kampfpläne einweihen oder sie mit an die Front nehmen. Kriegsreporter müssten dann auf eigene Faust reisen und ihr Leben aufs Spiel setzen. Mutmaßliche Kriegsverbrecher neigten ja nicht dazu, Zeugen ihrer Taten am Leben zu lassen, wenn sie damit rechnen müssten, aufgrund einer Reporteraussage einmal vor ein UNO-Tribunal gestellt zu werden.

Die Washington Post beharrt darauf: Was Randal schrieb, ist allgemein zugänglich, und das sollte auch einem UN-Tribunal reichen. Deshalb sollten die Milošević-Ankläger auf ein Erscheinen des Reporters im Zeugenstand verzichten. Mehr Details über seine Erlebnisse in Bosnien werde Randal ohnehin nicht preisgeben. Jeder Journalist sei daran gebunden, seine Informanten nicht öffentlich zu nennen. ROLAND HOFWILER