Ein Bombenteppich

Mit „Helden“ zeigt der Berliner Installationskünstler Raffael Rheinsberg in der Nikolaikirche verrostete Blindgänger als Fundstücke aus dem märkischen Boden

Der Berliner Bauboom der letzten Jahre hat auch makabre und denkwürdige Seiten. Das Wühlen im Untergrund lässt häufig gefährliche Hinterlassenschaften des letzten Weltkriegs zu Tage treten. Unlängst wurde am Hausvogteiplatz eine 250-Kilo-Sprengbombe gefunden, die zu großräumigen Evakuierungen und Absperrungen führte. Zufall oder nicht – in der nahe gelegenen Nikolaikirche ist derzeit eine Ausstellung von Raffael Rheinsberg zu sehen, in der er sich eben dieses Kriegsmülls bedient. Fein säuberlich in Reih und Glied, wie sie nie auf diese Stadt herabgehagelt sind, liegen sie auf dem gefliesten Boden des spätgotischen Gotteshauses: Bomben, Granaten, Minen, Maschinengewehre, Panzerfäuste und andere todbringende Munition aus märkischem Boden.

Der 1943 geborene Künstler, seit über zwanzig Jahren in Berlin ansässig, setzt damit ein Projekt fort, das er 1982 mit „Botschaften. Archäologie eines Krieges“ im damaligen Berlin-Museum begann. Gebrauchte und verbrauchte Gegenstände als historische Zeugen: die Vergangenheit ist lebendig. „Mit den Händen sehen“ nennt Rheinsberg seine Aktionen der Spurensicherung, die nicht dokumentarischen, sondern ästhetischen Kriterien unterliegen. Ästhetik bedeutet hier zuerst Ordnung. Sie lässt Zerstörung umso schmerzlicher spürbar werden. Die sarkastische Inszenierung des sprichwörtlichen Bombenteppichs kontrastiert mit der Hässlichkeit der verrosteten, formentstellten, verbeulten und zerfetzten Blindgänger. Aus der Erde gezerrt, liegen sie da wie verrenkte Gebeine in militärischer Formation.

Im Kirchenraum korrespondiert die Installation mit der Sepulkralplastik. Sie wird zum Memento mori wie die zahlreichen Epitaphien, die an die Geschichte dieser ehemaligen, 1939 säkularisierten Hauptpfarrkirche erinnern. Ihre Gestalt erhielt sie im Wesentlichen vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Im Zweiten Weltkrieg bis auf die Außenwände zerstört, wurde sie in den Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts wiederaufgebaut und zum Museumsraum umgenutzt. „Auf die Reihe gebracht“, wirkt der Schrott wie ein nicht enden wollendes Gräberfeld: schaurig-schönes Ornament des Todes.

„Helden“ hat Rheinsberg zweideutig seine Ausstellung genannt, die mit der Verleihung des Preises der Ilse-Augustin-Stiftung zur Förderung bildender Künstler verbunden ist. Nicht Kriegshelden will der Pazifist ehren, sondern die „stillen“ Helden unserer Zeit. Während die New Yorker Feuerwehrmänner nach dem 11. September zu Helden der Nation wurden, bleiben die Feuerwerker von der Polizei oder die Mitglieder des Staatlichen Munitionsbergungsdienstes anonym. Ihnen setzt Rheinsberg ein Denkmal. Die Erde gebiert weiterhin Monster. Zur Beseitigung der Kriegsfolgen gehört auch das Nachdenken über ihr Ursachen. Deshalb: „Helden“.

MICHAEL NUNGESSER

Bis 8. 9., Di.–So. 10–18 Uhr, Museum Nikolaikirche, Nikolaikirchplatz. Der Katalog kostet 7 Euro.