stefan kuzmany über Alltag Die armen, armen Pferde

Sie wollen Potsdam besuchen? Dann sollten Sie keinesfalls die historische Kutschfahrt verpassen

Der ideale Ausflug: Samstag, das Wetter schön, Mutter und Tante zu Gast, wohin? Potsdam. Schloss Sanssouci. Die Mutter hatte Schmerzen im Knie, also war uns der junge Mann gerade recht, der da am Straßenrand für seine Rundfahrt mit einer Kutsche warb. Gerade stiegen einige Touristen aus, sie bedankten sich artig für die Rundfahrt und spendeten großzügig Trinkgeld. Wir stiegen zu. Sechs Euro pro Person, das schien nicht teuer für eine Tour, die uns viel von dem zeigen sollte, was Potsdam zu bieten hat: „Schloss Sanssouci, Weinberge, Neue Orangerie, Drachenhaus, Botanischer Garten, Friedenskirche, Belvedere, Brandenburger Tor, Moschee, Neues Palais. Geht gleich los“, sagte der Kutscher. Das alles sehen, von Pferden durch die herrlichen Parkanlagen gezogen, wie einst wohl Friedrich der Große – wunderbar.

Außer uns fand sich nur noch ein Ehepaar, das teilnehmen wollte. Die beiden sprachen nur wenig und dann sehr leise, so dass ihre Nationalität ein Geheimnis blieb. Der Kutscher kassierte. Es ging los.

„Rechts sehn Se das Schloss Sanssouci“, sagte der Kutscher. Wir sahen die Rückseite des imposanten Gebäudes. Die Kutsche bewegte sich zügig die Straße am Schloss entlang. Gleich muss er in den Schlosspark einbiegen, dachten wir. Doch er fuhr weiter.

„Rechts sehn Se den Eingang zur Friedenskirche“, sagte der Kutscher. Tatsächlich: Da hinten im Park war ein Gebäude. Es war verdeckt von vielen Bäumen. Und schon wieder vorbei. „Die armen Pferde, warum hetzt er die so?“, sagte die Tante, die ein großes Herz für Pferde hat. Wir fuhren auf einer asphaltierten Straße. Immer wieder überholten uns Autos, die der Kutscher lässig vorbei winkte.

„Links sehn Se das Brandnburga Tor. Es is kleiner als das Brandnburga Tor in Berlin. Aber auch älter“, sagte der Kutscher. Das waren fast schon drei Sätze. Tagesrekord. „Habt ihr gesehen, das eine Pferd hat eine Verletzung an der Schulter“, sagte die Tante, die ein großes Herz für Pferde hat.

„Links sehn Se die Moschee. Die Kuppel ham se erst später drübergebaut“, sagte der Kutscher. Wir verstanden ihn kaum. Der Verkehr war sehr laut. Der Schlosspark war weit entfernt. „Ob der den Pferden Hafer gibt? Oder nur Stroh?“, fragte die Tante, die ein großes Herz für Pferde hat. „Links sehn Se den Kaiserbahnhof. Da hatta imma seine Gäste mit der Kutsche abgeholt“, sagte der Kutscher. Die Tante schwieg im Gedenken an die Pferde. Die Mutter lachte Tränen.

„Hier sehn Se das Neue Palais. Da ham se nen Tunnel gebaut und immer das Essen rübergebracht. Hier is Pause“, sagte der Kutscher. Das schweigsame Ehepaar fotografierte sich gegenseitig vor der Kulisse des Neuen Palais. Wir versuchten, sie zu belauschen, was aber nicht gelang, weil sie beharrlich schwiegen. Die Pferde bekamen Wasser, was die Tante zufrieden registrierte. Sie hat ein großes Herz.

Auf der Weiterfahrt legte der Kutscher noch einen Zahn zu. Er wollte jetzt offenbar schnell heim. „Links, hinter den Bäumen is das Drachenhaus“, sagte der Kutscher. Wir sahen Bäume. „Links sehn Se die Orangerie. Die ganzen Kübelpflanzen hier kommen im Winter in die Orangerie“, sagte der Kutscher. „Rechts sehn Se die Gewächshäuser vom Botanischen Garten.“ Die Tante sagte: „Die armen, armen Pferde.“

„Da wärn wa wieder“, sagte der Kutscher. Das Ehepaar stieg schweigend aus, überreichte dem Kutscher einige Münzen als Trinkgeld und ging Richtung Parkplatz. Auch wir verließen die Kutsche und sahen uns nochmal das Schloss Sanssouci an. Zu Fuß, aber immerhin von vorne. Als wir zum Auto gingen, sahen wir den Kutscher nochmal. Er verlud gerade eine neue Fuhre Touristen. „Geht gleich los“, sagte der Kutscher.

Auf der Rückfahrt, ich verfuhr mich mächtig, fanden wir uns plötzlich in der Berliner Clayallee wieder. „Links sehn Se das Pferdedenkmal“, sagte ich in bester Fremdenführerart. Meine Reisegruppe zeigte keinerlei Reaktion. Ich blickte mich um: Die beiden Damen waren eingenickt. Die armen Pferde, dachte ich. Die haben sicher schwer leiden müssen beim Modellstehen.

Fragen zu Alltag? kolumne@taz.de