Argentinien-Raupe frisst sich durch

Parasit, der mit einer Schiffsladung nach Europa kam, killt Südfrankreichs Palmen. Gegenmittel nicht bekannt

PARIS taz ■ „Paysandia archon“ ist illegal nach Europa gekommen. Keine Kontrollbehörde hat den Neuankömmling aus Argentinien bemerkt. Als er erstmals auffiel, war es zu spät. Da hatte der silbrig schimmernde Schmetterling mit der dunkelbraun-weiß-orange Zeichnung am Körper seine Eier bereits zu Füßen der Palmen an der Côte d’Azur verteilt. Seither fressen sich seine bis zu acht Zentimeter langen gelben Larven durch die Herzen der Palmenstämme an der Mittelmeerküste und trocknen die Baumkronen aus. In mindestens zwölf verschiedenen Palmensorten sind sie bereits im Inneren der Baumstämme aktiv. Ohne natürliche Feinde und unerreichbar für Insektengifte. Wenn die Forscher nicht bald ein Gegenmittel finden, könnte Paysandia archon Palmenhainen längs der Mittelmeerküste den Garaus machen.

Im südfranzösischen Departement Var sind bereits mehrere Palmenhaine befallen. Auch auf der dicht vor der Küste gelegenen französischen Dattelpalmen-Insel Porquerolles soll Paysandia archon angekommen sein. In Spanien wurde der Schmetterling in der Gegend um Gerona entdeckt, wo er möglicherweise schon länger ansässig ist als in Frankreich. In örtlichen spanischen Baumschulen sind bis zu 40 Prozent der Palmenpflänzchen von ihm befallen. Aus Italien gibt es noch keine offizielle Bestätigung für die subversive Tätigkeit von Paysandia archon. Aber französische Forscher haben seine Larven in Palmenbäumchen gefunden, die aus Italien kamen. Sogar nach Belgien könnte die Larve gelangt sein. Ein Tourist, der Palmensamen an der Côte d’Azur gesammelt und sie im Kühlschrank aufbewahrt hat, meldet im Internet, dass er eine lebendige Larve in den Samen fand, als er sie zwei Monate später zum Keimen auf die Heizung legte.

Ein halbes Jahrtausend nach der Ankunft der Europäer in Amerika hat Paysandia archon damit eine Eroberung in umgekehrter Richtung angetreten. Forscher des französischen Agronomie-Institutes „Inra“ vermuten, dass der Schmetterling an Bord von Schiffsladungen Mitte der 90er-Jahre aus Argentinien nach Europa gereist ist. Als erste Behörde schlugen im Juli 2001 Pflanzenschützer an der Côte d’Azur Alarm. Im letzten Winter gab das Landwirtschaftsministerium eine Studie in Auftrag. Die Experten sollen herausfinden, was unternommen werden muss, und notfalls auch radikale Methoden empfehlen. Bislang raten sie lediglich dazu, befallene Palmen zu isolieren, auszureißen und zu verbrennen. Problem: Dies kostet pro Baum bis zu 1.000 Euro und ist keineswegs erfolgversprechend.

Bis eine wirksamere Methode gegen den Schädling gefunden ist, können viele Jahre vergehen. In der Regel werden die unbekannten Tiere in Quarantäne genommen und analysiert. Manchmal ist auch eine Familienzusammenführung aus dem Herkunftsgebiet nötig, um eines Schädlings Herr zu werden. So importierte das französische „Inra“ eine Wespe aus Australien, um gegen die hartnäckigen Blattläuse auf den Eukalyptusbäumen vorzugehen. Doch längst nicht immer finden sich Gegenmittel. Eine besonders unangenehme Erfahrung hat die Mittelmeerregion mit der tropischen Alge „Caulerpa taxifolia“ gemacht, die mit Abwässern aus dem „Meeresinstitut“ von Monaco im Jahr 1984 in kleinen Mengen in das Mittelmeer geraten ist. Am Mittelmeerboden aber hat diese Alge keine Feinde. Sie erstickt alle anderen Pflanzen, sondert Gifte ab, die Meerestiere daran hindern, sie zu fressen, und vermehrt sich rasant. Weniger als 20 Jahre nach ihrer Ankunft in Europa hat die „Killeralge“ die Mittelmeerfauna und -flora verändert, ist Gegenstand internationaler Kongresse geworden und hat eigene Webseiten. Ein Gegenmittel gibt es immer noch nicht. DOROTHEA HAHN