Brasilien hofft auf IWF-Hilfe

Seit Jahresbeginn sank der Kurs des Real um 38 Prozent. USA gegen neue Darlehen, Exbundesbankchef Tietmeyer verlangt von der Bevölkerung „noch härtere Opfer“

„Opfer werden nötig sein, mehr als jene, an die sich die Gesellschaft gewöhnt hat.“

PORTO ALEGRE taz ■ Déjà-vu in Brasilien: Mit zwei markigen Sätzen ist es US-Finanzminister Paul O’Neill gelungen, den Real auf ein neues Rekordtief zu drücken. Am Montag stieg der US-Dollar so steil wie seit Januar 1999 nicht mehr – um 5,5 Prozent auf 3,18 Reais. Auch das Länderrisiko, ein Indikator für das Misstrauen der Anleger, erreichte neue Spitzenwerte. Brasilianische Staatsanleihen werden demnach um 22 Prozent höher verzinst als ihre US-amerikanischen Pendants.

Wie schon im Juni hatte sich O’Neill am Sonntag in einem Fernsehinterview gegen weitere Darlehen an Brasilien, Argentinien und Uruguay ausgesprochen. Die drei Mercosur-Länder müssten erst einmal eine solide Wirtschaftspolitik verfolgen und „sicherstellen“, dass Finanzhilfen „nicht einfach auf Schweizer Konten“ landeten, sagte O’Neill in gewohnt drastischer Manier –und in Anspielung auf den neoliberalen Musterschüler und argentinischen Expräsidenten Carlos Menem.

Präsident Fernando Henrique Cardoso reagierte ungewöhnlich scharf und forderte US-Botschafterin Donna Hrinak auf, die Äußerungen O’Neills zu „erläutern“. Sollte diese Klarstellung nicht zufrieden stellend ausfallen, sehe er sich nächste Woche „außerstande, den Finanzminister zu empfangen“. Eine Sprecherin des US-Finanzministers versicherte daraufhin pflichtgemäß, Brasilien verfolge eine „korrekte Politik“, man hoffe auf deren „andauernden Erfolg“.

Seit Jahresbeginn beträgt die Abwertung des Real gegenüber dem Dollar 38 Prozent. Mit jedem Kursverfall wächst die private wie die öffentliche Schuldenlast und damit die Schwierigkeiten, sie zu bedienen. Die Regierung Cardoso entschloss sich daher zum dritten Mal, ein Darlehen beim Internationalen Währungsfonds (IWF) zu beantragen – gestern flog eine hochrangige Regierungsdelegation nach Washington. Sollte der IWF rasch grünes Licht geben, so wie es die stellvertretende Vorsitzende Anne Krueger kürzlich andeutete, darf die Cardoso-Truppe auf einen ehrenhaften Abgang ohne Staatsbankrott hoffen. 1998 war Brasilien eine Kreditlinie in Höhe von 41,5 Milliarden Dollar gewährt worden, 2001 belief sich die Zusage auf 15,7 Milliarden.

Zwar machen immer noch viele Analysten neben den schlechten Vorgaben aus dem krisengeschüttelten Nachbarland Argentinien die Präsidentenwahl im Oktober für die seit Mai anhaltende Nervosität auf Brasiliens Finanzmärkten verantwortlich. In Umfragen liegt nämlich der blasse Regierungskandidat José Serra, der für eine Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik steht, weit zurück, Linkskandidat Luiz Inácio „Lula“ da Silva hingegen vorne.

Allerdings wird Lula da Silva sein Image als Schrecken der Finanzmärkte allmählich los. Zum einen legte er letzte Woche ein äußerst moderates Regierungsprogramm vor. Zum anderen schmilzt seine Favoritenrolle dahin. Neuer Medienliebling ist der smarte Ciro Gomes, der sich zwar als Oppositioneller geriert, aber inhaltlich kaum von Serra zu unterscheiden ist. 1994, als Cardoso in seinen ersten Präsidentschaftswahlkampf startete, hatte ihn Gomes als Finanzminister beerbt.

Gravierender ist allemal, dass die monatelange Spekulation auf eine Abwertung des Reals ihre Spuren in der „realen“ Wirtschaft hinterlassen hat: Immer mehr Firmen kämpfen mit Schwierigkeiten bei der Umschuldung. Kredite, aufgrund der hohen Zinsen schon lange ein Luxus, werden selbst für das Exportgeschäft immer unerschwinglicher. Konstant inmitten der Turbulenzen bleiben lediglich die Rezepte des IWF. So heißt es in einem Papier, das eine Delegation um Exbundesbanker Hans Tietmayer am Montag nach einer Argentinienvisite veröffentlichte: „Opfer werden nötig sein, wahrscheinlich mehr als jene, an die sich die Gesellschaft bereits gewöhnt hat.“

GERHARD DILGER