Liebe und anderes Soziales

„Bollywood in Paradise“: Den August widmet das Metropolis-Kino mit zahlreichen neuen und einigen frühen Filmen der indischen Filmindustrie – und ihrem liebsten Drehort, den Schweizer Alpen

Allein in Bombay, dem Zentrum der indischen Filmproduktion, entstehen pro Jahr 300 Filme. Daher rührt auch der Spitzname der Filmindustrie Indiens: Bollywood. Entgegen landläufiger Meinung hat nicht die USA die Nase vorn im Zelluloid-Geschäft: Der indische Subkontinent bringt mit rund 800 Kinofilmen jährlich weit mehr auf den Markt, die Umsätze sind gigantisch, und die Gagen der Leinwandstars würden manche KollegInnen aus Hollywood vor Neid erblassen lassen. Die InderInnen sind schlicht kinoversessen – und das hat eine lange Tradition. 1913 begann man dort mit eigenen Produktionen. Als dankbarer Themenfundus erwiesen sich die hinduistischen Mythen, die eine wichtige Rolle schon im alten indischen Theater spielten. Vom dort übernahm man auch die Stilmittel: ganz vorneweg Gesangs- und Tanzeinlagen, die bis heute in keinem indischen Film fehlen dürfen.

Als Szenerie für romantische Liebesschwüre hat sich (kulturübergreifend) eine ansprechende Landschaft schon immer geeignet, und das wird im Bollywood-Kino hemmungslos eingesetzt. Für die aufwendigeren Produktionen muss es schon eine exotische Landschaft sein. Der Gipfel der Exotik ist, was vom europäischen Standpunkt zunächst verblüfft, die Schweiz, wo viele der Filme gedreht werden

Das alles klingt sehr kitschig, und das ist es auch: surreal-kitschig. Wie Traumsequenzen erscheinen die Tanz- und Gesangseinlagen, mehr oder weniger abgelöst von der eigentlichen Handlung. Hier dürfen Held und Heldin ihre Sehnsüchte und ihr erotisches Begehren ausdrücken. Wenn man weiß, dass ein Kuss auf der Leinwand in Indien schon unter Pornographie fällt, dann wird verständlicher, warum der musikalische Part einen solchen Stellenwert hat.

Gestartet wird die Reihe „Bollywood in Paradise“ mit einem „echt indischen“ Abend. Schon während Mohabbatein (2000), eine multiple Liebesgeschichte, läuft, werden im Hof indische Snacks angeboten und Bollywood-Hits gespielt. Die Open-Air-Party wird später noch mit nach draußen projizierten indischen Kurzfilmen aufgepeppt.

In den anspruchsvolleren Bollywood-Streifen werden auf der Folie der romantischen Komödie immer auch gesellschaftliche Probleme verhandelt. Eine Art indische „Pretty Woman“ ist die Prostituierte Madhoo, die in Chori Chori Chupke Chupke (2001) einem verliebten, aber kinderlosen Paar zum Kind verhelfen soll. Familiäre Zwänge, Fragen sozialer Deklassiertheit, aber auch die Konflikte einer Dreiecksbeziehung sind Probleme, mit denen sich auch das moderne Indien herumschlagen muss. Liebesheirat wider den Willen der Eltern oder Akzeptanz der gestifteten, standesgemäßen Ehe ist denn auch das Thema in Kabhi Khushi Kabhie Gham (2001), in dem traditionelle Riten und Hightech eine interessante Koexistenz führen.

Neben anderen zeitgenössischen Produktionen wie Pyar Ishq Aur Mohabbat (2001) und Dil Se (1998) wurden auch Klassiker ins Programm aufgenommen. Sangam (1964), einer der größten Kassenschlager der indischen Kinogeschichte, war der erste Film, der europäische Schauplätze ins Spiel brachte und damit auch den bis heute andauernden Schweiz-Fimmel auslöste.

Aus der Phase, in der Bollywood noch weitaus sozialkritischer war, stammt Awaara (1951). Ein Richter Gnadenlos, für den einer kriminellen Karriere immer ein schlechter Charakter zugrunde liegt und nicht etwa soziale Umstände, ist dabei, das Leben und damit obendrein die große Liebe des Helden zu zerstören – wäre da nicht die taffe Anwältin. Eine kampfeslustige Heldin, die Männer das Fürchten lehrt, bietet Miss Frontier Mail (1936). Bollywood-Kino birgt einige Überraschungen. Die Gelegenheit zur Kostprobe sollte man nicht ungenutzt lassen.

Ariane Dandorfer

Mohabbatein: Sa, 19 Uhr + So, 13 Uhr + 17 Uhr; Kabhi Khushi Khabi Gham: Mi, 19 Uhr, Metropolis; die Reihe läuft noch bis Ende August