: Verwandschaftsbeziehungen
Sotigui Kouyaté als alter Afrikaner auf den Spuren seiner Vorfahren: Rachid Boucharebs Film „Litte Senegal“ geht den Wegen der Sklaven von damals bis ins Harlem von heute nach – und hat ihnen einiges mitzuteilen
von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
Alloune war sein Leben lang Fremdenführer und Kurator eines Sklavenmuseums – auf der vor Senegal gelegenen Insel Gorée. Von hier aus sind vor mehr als 200 Jahren zahlreiche Schiffe in See gestochen, vollbeladen mit Einheimischen. Ihr Bestimmungsort: Nordamerika. Wer die Fahrt überlebte, sollte fortan Sklave sein. Kaum pensioniert entschließt sich Alloune, den Spuren der Verschleppten zu folgen. In South Carolina beginnt er seine Recherche. Mühselig liest er aus verstaubten Akten oder von Grabsteinen die Geschichte einiger seiner Vorfahren ab, findet schließlich sehr entfernte Verwandte in Harlem, New York.
Alloune-Darsteller Sotigui Kouyaté ist in Westafrika ein Star. Der in Mali geborene Musiker und Erzähler war unter anderem im Arbeitsministerium von Burkina Faso beschäftigt, gründete das erste Ballett des Landes und spielte zweimal in der dortigen Fußballnationalmannschaft. Doch auch als Schauspieler ist der mit Dreadlocks behangene Kouyaté kein unbeschriebenes Blatt. Seit dem Ende der 80er Jahre spielt er nicht nur regelmäßig in Peter Brooks Ensemble, er hatte auch bereits einige Filmrollen, etwa bei Bernardo Bertolucci oder Margarete von Trotta. Durch Rachid Boucharebs jüngsten Film Little Senegal – eine deutsch-französisch-algerische Koproduktion – wandelt er gleich einer Ikone seiner selbst mit statuenhafter Würde.
Und das muss er auch, denn Bouchareb, inzwischen angegrauter Vertreter des Cinéma Beur, inszeniert hier ein Aufeinandertreffen von Zivilisation und Wildheit – mit vertauschten Rollen. In Harlem, so scheint es, gründen die meisten Beziehungen, ob ökonomische oder soziale, auf Gewaltverhältnissen: Hier blasen Drogen in einer krank machenden Zusammensetzung den Menschen das Hirn weg, hier bedroht man sich gegenseitig mit der Waffe, wenn man einander nicht gleich erschießt.
Dem Selbstbild seiner Bewohner entspricht das freilich nicht. Afrikaner sind hier nicht gern gesehen, sie gelten noch dem dunkelhäutigsten US-Amerikaner als primitiv, und auch Alloune muss sich manche Beschimpfung gefallen lassen. Ida (Sharon Hope), Kioskbesitzerin und etwa gleichaltrige „Verwandte“ argwöhnt: „Da unten erschießen sie Amerikaner!“ Von den gemeinsamen Vorfahren erzählt Alloune erstmal nichts, heuert statt dessen als Aushilfe bei Ida an. Gegen Ende jedoch wird sich die Rauhbeinige verliebt haben in die Zuverlässigkeit und stille Würde des Alten, der sogar noch ihrer minderjährigen schwangeren Enkelin seine traditionellen „afrikanischen“ Werte näher zu bringen versteht.
Das erinnert stark an die Zeiten der Négritude, über die Frantz Fanon allerdings schon 1959 zu sagen wusste: „Es genügt nicht, sich mit dem Volk in jener Vergangenheit zu verbinden, in der es nicht mehr ist, sondern man muss sich ihm in jener schwankenden Bewegung anschließen, die es gerade angefangen hat.“ Auch wenn diese Sätze aus der Emphase stärker werdender antikolonialer Kämpfe heraus gesprochen wurden: Auf verquere Weise spricht das Festhalten an Traditionen – so Fanons Analyse damals – denjenigen das Wort, welche die subalterne Position und die Misere des Alltags der Schwarzen gerade zu verantworten haben.
Allounes Werte fügen sich auch heute problemlos in die im Interesse so genannter Sicherheit und Ordnung vorgebrachten Appelle an die schwarze Ghettobevölkerung der USA. Bouchareb belässt es dabei. Der persönliche Minifeldzug für mehr Verantwortungsbewusstsein, gegen Drogen und Kriminalität endet mit einem Toten. Allounes Neffen Hassan haben die Kugeln einer Gang getroffen. Wenn der Alte, ganz der afrikanischen Tradition folgend, die Leiche in den Senegal überführt, um ihn in der Erde der Ahnen zu begraben, sind seine Werte letztlich ebenso tot wie lebendig.
Do + Di, 19 Uhr, Fr, 19.30 Uhr, Mo, 21.15 Uhr, Mi, 17 Uhr, Metropolis; der Film läuft noch bis 21. August
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