„Alter, ich kümmere mich“

aus Berlin BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

„Niemand sollte Schwarzarbeit verharmlosen oder aufhören, sie von Rechts wegen zu bekämpfen. Sie ist und bleibt Betrug an der Solidargemeinschaft. Aber Schwarzarbeit wird erst verschwinden, wenn sich die reguläre, versteuerte und sozialversicherte Arbeit wieder lohnt.“ (Bundeskanzler Gerhard Schröder, Regierungserklärung vom 10. November 1998)

Er ist nicht stolz darauf, den Staat zu betrügen. Doch er schämt sich auch nicht dafür. Er hat sich dem Arbeitsmarkt angepasst, könnte man sagen. „Die Politiker wissen gar nicht, was los ist auf dem Bau. Es ist katastrophal“, schimpft er. Kalle Schaule ist einer der etwa fünf Millionen Schwarzarbeiter in Deutschland.

Er weiß, wo es langgeht auf dem Bau, und er ist keiner von denen, die mit der Faust auf den Tisch hauen müssen, um sich verständlich zu machen. Er kann gut reden. Doch nur unter einigen Bedingungen ist er bereit, sich in einer Kneipe in Berlin zu treffen, von seinen illegalen Nebeneinkünften zu erzählen und zu erklären, was er von „Ich-AG“ der Hartz-Kommission hält (siehe Kasten). Sein richtiger Name darf nicht genannt werden. Er schlägt Schaule vor. „Weil das auf dem Bau so eine Larifari-Anrede ist.“ Und Kalle, „weil das irgendwie nach Bau klingt“. Seine Arbeitsstellen dürfen ebenso wenig beschrieben werden wie sein Äußeres. „Schließlich ist das, was ich mache, illegal.“

Nur einige wenige Fakten sind erlaubt: Er ist 32 Jahre alt, stammt aus einer Kleinstadt in Brandenburg, hat kurz vor dem Mauerfall eine Ausbildung zum Facharbeiter für Getreidewirtschaft und später eine Fortbildung zum Zimmermann gemacht. Er ist unverheiratet, hat keine Kinder, bekommt etwa 700 Euro Arbeitslosenhilfe im Monat. Und: „Ohne Dazuverdienen reicht das nicht.“

Fünf Jahre hat Schaule legal auf dem Bau gearbeitet. „Für richtig gutes Geld“ nach der Wende bei einer Asbestsanierungsfirma in Westdeutschland. Nach Unstimmigkeiten wurde er entlassen und meldete sich beim Arbeitsamt Berlin-Brandenburg arbeitslos. Nach einem Dreivierteljahr „Abhängen“ stieg er bei einer Sanierungsfirma von einigen Kumpels ein – mit Vertrag, aber für fast die Hälfte weniger Lohn, obwohl er die gleiche Arbeit wie vorher im Westen machte.

Dann begannen die „Jobs auf Kumpelbasis“. Zwei Freunde, die sich mit einer Wärmedämmungsfirma selbstständig gemacht hatten, nahmen Schaule unter Vertrag. Das heißt: „Erst wurde ich eingestellt, und als die Auftragslage schlechter wurde, ging ich wieder zum Arbeitsamt und arbeitete hin und wieder schwarz für die Firma.“ Verwerflich fand er das nicht.

„Illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit sind das Krebsgeschwür der deutschen Bauwirtschaft.“ (Arndt Frauenrath, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, bei einem Kaminabend des Parlamentskreises Mittelstand am 25. September 2001)

Bald stieg Schaule voll in den schwarzen Arbeitsmarkt ein. Er lernte einen türkischen Unternehmer kennen, der „sympathisch und locker drauf war“ und händeringend Leute suchte. „Der hatte Portugiesen, die das mit dem Endputz nicht so draufhatten.“ Allerdings wollte der Chef niemanden fest anstellen. Schaule akzeptierte das. „Die Abgaben, die Unternehmer zahlen müssen, sind einfach zu hoch.“ Also machte er einen Vorschlag. „Pass mal auf, Alter, ich kümmere mich um alles.“ Sie vereinbarten einen Quadratmeterpreis und Schaule heuerte ein paar arbeitslose Kumpels an, Stundenlohn: 15 Mark bar auf die Hand. Und er selbst? „Wenn ich zusammen mit der Arbeitslosenhilfe auf 1.100, 1.200 Euro im Monat komme, bin ich zufrieden.“

Das ist mehr, als seine Eltern zum Leben haben. „Eine große Ungerechtigkeit“, findet der Sohn. „Sie sind die ehrlichsten Menschen der Welt.“ Der Vater ist 59 Jahre alt, Heizer, Kraftfahrer und Autobahnbauer und seit einem Herzinfarkt arbeitslos. Die Mutter ist 52 Jahre, Verkäuferin und nach mehreren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ebenfalls ohne Anstellung. „Sie würden niemanden belügen. Nicht mal um einen Pfennig!“ Seine Eltern machen ihm aber keine Vorwürfe. „Sie können die Situation nachvollziehen.“ In der Familie sei er eben „der etwas windige Hund“.

Angst, aufzufliegen, hat Schaule nur auf großen Baustellen. Er weiß: „Wenn sie wollen, kriegen sie dich.“ Bisher hatte er Glück. Dafür hat er „andere heiße Sachen“ erlebt, sagt er und grinst. „Einmal saß ich, der Schwarzarbeiter, in der Arbeitsbesprechung samt dem Bauleiter und Architekten! Da musste ich mir schon das Lachen verkneifen.“ Weniger lustiger fand es Schaule, wenn es „Probleme mit der Kohle“ gab. Nach dutzenden Jobs als Ungelernter oder Angelernter hatte er „die Schnauze voll“ und beschloss, eine zweijährige Ausbildung zum Zimmermann zu machen.

„Schwarzarbeit am Bau findet inzwischen zu 90 Prozent in organisierter Form statt. Dahinter steckt sinkende Moral und abnehmendes Unrechtsbewusstsein.“ (Klaus Wiesehügel, Vorsitzender der IG Bauen-Agrar-Umwelt, zum Gesetzentwurf gegen Schwarzarbeit am 22. Februar 2002)

Nach der Ausbildung, vor gut zwei Jahren, fand Schaule sofort eine Anstellung, mit Vertrag. Die Bezahlung war mit 800 Euro netto nicht die Welt, doch ihm gefiel die Arbeit. „Wir haben in alten Häusern Dachstühle erneuert, das war toll“, schwärmt er. Bis er Putz abklopfen und Fugen auskratzen musste. Seine Arbeitsmoral sank, er wurde entlassen und ging wieder zum Arbeitsamt. „Dort war ich mit den Leuten schon fast per du.“

Und wieder rief ein Kumpel an. Einer, den Schaule von der Ausbildung kennt und der wiederum Leute in einer Zimmerei. „Wenn ein Hundert-Euro-Schein rumliegt, gucke ich nicht weg“, lautet seine Devise. Man habe sich geeinigt, zwischen Festanstellung und Schwarzarbeit zu wechseln. Ein Geschäft, das Schaule bereits gut kannte. Dabei kann er es sich erlauben, bei schönem Wetter „einfach ins Auto zu steigen und an der Ostsee zu relaxen“ oder nach einer durchtanzten Heavy-Metal- oder Reggae-Nacht auszuschlafen.

Ohne dass Schaule darauf warten muss, rufen ihn immer wieder Kumpel an, die Bekannte haben, die jemanden kennen, die jemanden brauchen auf dem Bau. Für Tage oder Wochen. Zum Tages- oder Pauschalsatz. In Berlin, in Sachsen, in Mecklenburg-Vorpommern. Zum Fußbodenverlegen, Fliesenlegen, Sanieren alter Häuser. Seit einigen Tagen saniert Schaule eine Altbauwohnung in Berlin. Zusammen mit einem Kumpel, der selbstständig ist. Für 50 Euro Tagespauschale arbeitet er zwischen fünf und zehn Stunden. Wichtiger als das Geld sei ihm das Arbeitsklima, betont er. Solange er die Miete für seine Anderthalbzimmerwohnung in Berlin zahlen und den zehn Jahre alten Fiat finanzieren kann, komme er klar. Ohne Sarkasmus fügt er hinzu: „Ich habe ja noch meine Arbeitslosenhilfe.“

„Wir haben Schwarzarbeiter befragt, um herauszufinden, was sie mitmachen würden und was nicht.“ (Peter Hartz, Vorsitzender der Kommission der Bundesregierung zur Reform des Arbeitsmarktes, in einem Zeitungsinterview vom 24. Juni 2002)

Über die Vorschläge der Hartz-Kommission kann Schaule nur den Kopf schütteln. „Wer weiß, mit was für Leuten der Hartz geredet hat.“ Er jedenfalls kann sich nicht vorstellen, wie das mit der Ich-AG funktionieren soll, erst recht nicht, wenn ein solcher Vorschlag „kurz vor der Wahl“ gemacht wird. „Wenn die mir sagen, du kannst 20.000 Euro im Jahr verdienen und gibst uns zehn Prozent, klingt das utopisch.“ Warum? „Dann würde ich ja finanziell besser dastehen als jetzt.“ Schaule denkt nicht nur an sich. „Wo bleiben denn dann die kleinen korrekten Krauter, die keine Halsabschneider sind?“ Selbstständig sein heiße nicht, nur Nägel in die Wand zu schlagen. „Die müssen von früh bis spät Angebote schreiben, Material besorgen, Arbeitsabläufe gestalten, Probleme auf dem Bau lösen und noch dazu viel zu hohe Abgaben für Festangestellte zahlen“, schimpft er.

Schaule könnte auch im Ausland arbeiten. Diesmal handelt es sich jedoch nicht um den Vorschlag eines Kumpels. Das Arbeitsamt hat ihm das Angebot einer Firma geschickt, die in einem europäischen Land Handwerker sucht. Der Stundenlohn läge zwar weit über dem, was er jetzt offiziell und inoffiziell bekommt. Aber Schaule will nicht weg. „Niemand hat das Recht, zu bestimmen, wo ich zum Arbeiten hingehe“, sagt er entschieden.

Der Zimmermann vergleicht den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Schwarzarbeit mit der Bekämpfung eines Pilzes, der dem Holz zusetzt. „Der Holzschwamm zerfrisst das ganze Haus. Um das abzustellen, muss geforscht werden, wo die Quelle ist. Sonst kracht’s im Gebälk.“