robin alexander über Schicksal
: „Ich zuckere deine Mutter!“

Wehe dem, der kluge Leser hat: Eine kurze Geschichte über Übersetzungsfehler und Sonderzeichen

In anderen Blättern sind Kolumnisten alte Männer, die schon alles wissen. Franz Josef Wagner, der in der Bild-Zeitung täglich sehr anschaulich Gut und Böse auseinanderhält, ist so einer. Wenn solche Autoren in den Urlaub fahren, druckt die Redaktion statt der Kolumne Briefe von Lesern, die schreiben, wie toll sie die Kolumne finden.

So etwas tut diese kleine tapfere Zeitung nicht. Dafür haben wir zu viel Ethos. Und zu wenig lobende Leserbriefe. Wir kriegen nämlich solche: „Liebe tazler, heute hab ich ausnahmsweise mal wieder – in bester Absicht und trotz grundsätzlicher Abneigung – die Kolumne gelesen.“ Der Beitrag von Sabine T. verwendet ferner die Begriffe „klugscheißen“ und „dilettantisch“ und fordert die Chefredaktion auf, den Setzer abzumahnen und den Redakteur zu einer Fortbildung zu schicken. So weit, so schlecht.

Das wirklich Schlimme ist: Die wütende Frau T. hat Recht und Anlass zum Ärger. Ich bekenne mich schuldig: An dieser Stelle erschien vor zwei Wochen der Text „Halbmondshirtmädchen“, in dem es um türkische Mitbürger im Allgemeinen und ihre Schimpfwortkultur im Besonderen ging. Frau T. folgend stelle ich hiermit im Sinne des Pressegesetzes richtig: „Serseri“ bedeutet „Strolch“ und nicht etwa „Esel“. Ist die Angelegenheit damit geklärt? Noch lange nicht. Eine Postkarte erreicht die Redaktion – eingesandt von Herrn D.-Ch. E. aus Berlin, augenscheinlich Muttersprachler, aus der hervorgeht, „serseri“ bedeute „Verrückter“. Ein dritter Leser ist sich hingegen sicher, „serseri“ ist nicht der Esel, sondern „ein Vagabund“. Es ist Zeit, eine Expertin anzurufen. Am besten die, die mir diese Buchstabensuppe eingebrockt hat. Sie ist Türkin, Deutsche und Journalistin gleichzeitig. Diese Rollen nehmen sie so in Anspruch, dass sie immer nur über Handy erreichbar ist. „Ich soll dir die Schimpfworte falsch übersetzt haben? Deshalb rufst du mich? Für den Scheiß hab ich kein’ Zeit, Alter!“

Was soll ich bloß tun? Kann ich bei der türkischen Botschaft anrufen und nach der offiziellen Übersetzung für „Fick deine Mutter“ fragen? Soll ich mich an ein Übersetzungsbüro wenden?

Vollends unübersichtlich wird die Situation durch eine sehr kundige Äußerung von Tobias E. In einem Internetforum schreibt er: „Anani sekerim“ würde so wie’s da steht (bis auf den falschen i-Punkt bei Anani) heißen: „Ich hüpfe deine Mutter“, oder falls beim „s“ der „Schnick“ fehlt „Ich zuckere deine Mutter“. Denn: „sekmek“ = hüpfen, „sikmek“ (ohne i-Punkt) = zusammenpressen und „sikmek“ (mit i-Punkt) heißt dann endlich „ficken“. Bis hierhin ist das noch luizid und transparent, aber dann: Wobei die Form „ –erim“ (Aorist 1. Person Singular) eben bedeutet „ich pflege das zu tun“; mit dem Imperativ hat das wenig zu tun. Der Leser fasst zusammen: Der fluchende Türke behauptet also, er vollziehe regelmäßig den Geschlechtsakt mit der Mutter des Beschimpften und fordert ihn mitnichten auf, das selber zu tun.

Rettung kommt unerwartet. Ein befreundeter Motorjournalist outet sich überraschend als ehemaliger Student der türkischen Sprache. Und tröstet mich ob meiner unzuverlässigen Informantin. „Die in Deutschland aufgewachsenen Türken können gar kein Türkisch, jedenfalls kein gutes.“ Das vermaledeite „sekerim“ ändere seinen Sinn durch Sonderzeichen, sprich Häkchen unter dem s-Buchstaben. Seiner Meinung nach sei „șekerim“ mit Häkchen vorn ein Kosewort à la „meine Süße“. Also gar kein Schimpfwort?

Nach diese Ratschlägen gehe ich dorthin, wo ein verwirrter Mann gewöhnlich hingeht: in die Kneipe. Der Wirt heißt Mustafa, hat Sprachen studiert, und sein Bruder war der türkische Arzt in der Lindenstraße. Kann es mehr Autorität geben? Mustafa meint, „serseri“ sei eigentlich der „Landstreicher“, heutzutage bezeichne man damit „Leute, die Scheiße bauen“, aber auch „Leute, die bewusst Scheiße bauen“. Dann wär’s als Kompliment gemeint. Aha. „Anani sikerim“ sei „Ich werde deine Mutter ficken, also eine Drohung oder, Mustafa grinst, „äh … Wunschdenken“. Verzweifelt verabschiede ich mich. Mustafa gibt mir noch ein türkisches Sprichwort mit auf den Heimweg. „Türkçe lastik gibi, istedigin yere çek: Türkisch ist eine Sprache wie Gummi, zieh sie wohin du willst!“

Fragen zu Schicksale?kolumne@taz.de