„Mit Wenders ist Schluss“

„Eine Schwalbe macht den Sommer“: Regisseur Christian Carion über das Misstrauen der finanziell wichtigen Fernsehsender gegenüber seinem Projekt, deutsches und europäisches Kino

Interview: JÖRG TASZMAN

Christian Carion stammt aus einer nordfranzösischen Bauernfamilie und hat einen ungewöhnlichen Erstlingsfilm gedreht. Eine Schwalbe macht den Sommer wurde dennoch zu einem Erfolg. Über 2,5 Millionen Franzosen sahen den Film und das, obwohl das Fernsehen als so wichtiger Koproduzent nicht an den Film glaubte.

taz hamburg: Herr Carion, wieso ist die Finanzierung eines Films mit so bekannten Darstellern wie Mathilde Seigner und Michel Serrault derart schwierig gewesen?

Christian Carion: Sie war es gerade wegen der Darsteller. Die Fernsehsender waren skeptisch. Ich bekam Dinge zu hören wie „Ein Debütfilm mit Michel Serrault und Mathilde Seigner – das ist wie Dynamit. Vermutlich wird es Ihnen in Ihrer Unerfahrenheit nicht möglich sein, diese Darsteller zu führen. Die werden mit ihnen machen, was sie wollen. Das wird dann Ein Käfig voller Narren auf dem Lande.“ Das tut weh, wenn man sowas hört. Aber mein Produzent sagte, ich gehe das Risiko ein. Glücklicherweise wurde mein Film ein Erfolg sonst wäre mein Produzent, der Filme wie Hass und Der Duft der grünen Papaya produzierte, jetzt pleite.

Glauben Sie, Ihr Film wird auch außerhalb Frankreichs funktionieren ?

Er ist fast in jedes Land verkauft worden, außer nach Japan. Dort sagte man uns, den Tod eines Schweins im Kino zu sehen, sei wegen der kulturellen Unterschiede unmöglich. Ein Kind das von einem Auto überfahren wird, oder ein Alter der die Treppe herunterfällt, das würde gehen, aber nicht der Tod eines Tieres. Wir haben in einigen Ländern Testvorführungen durchgeführt, und ich war angenehm überrascht.

Wollten Sie denn einen universellen Film drehen ?

Wenn man einen Film dreht, dann für die Zuschauer. Ein Film muss emotional berühren. Das ist mir wichtig, danach suche ich. Wenn es dann künstlerisch und ästhetisch auch noch gelungen ist, um so besser.

Sie planen demnächst eine große internationale Koproduktion und suchen gerade deutsche Produzenten.

Dieses Projekt beschäftigt mich bereits seit über 10 Jahren. Es wird ein europäischer Film mit deutschen und englischen Koproduzenten. Es geht um Weihnachten 1914 in den Schützengräben in Frankreich. Kaiser Wilhelm ließ ganze Wagons von Tannenbäumen, elektrischen Girlanden, Fanfaren und Alkohol an die Front bringen. All das kam also in den Schützengräben an. Das machte einen Riesenkrach und die Franzosen und Briten, die nur ihren Alkohol hatten, fragten sich, was das soll und ob es etwa einen Angriff gäbe. Um Mitternacht haben die Deutschen alle fünf Meter an ihren Schützengräben einen Weihnachtsbaum aufgestellt mit den Girlanden. Und das über Hunderte und Hunderte von Metern. Um Mitternacht ging alles an.

Wie reagierten die französischen und britischen Soldaten?

Die Deutschen sangen zunächst patriotische Lieder, später aber Kantaten auf Latein. Die französischen und britischen Soldaten fingen an mitzusingen. Es kam zu einer Verbrüderung. Zwei Wochen lang besuchten sie sich in den Schützengräben, zeigten sich Fotos ihrer Kinder und Frauen und spielten Fußball miteinander. Das finde ich wunderbar, dass das möglich war in diesem schrecklichen Krieg. In dieser Nacht wurde Europa erfunden.

Wie sehen Sie das europäische Kino?

Das deutsche Kino fehlt uns wirklich. Wenn ich an die Geschichte des Kinos denke, an alles, was das deutsche Kino hervor gebracht hat, Regisseure wie Lang, Murnau, Fassbinder und Wim Wenders, das ist enorm. Aber mit Wenders ist Schluss. Das ist schlimm und traurig. Ich glaube, die einzelnen Kinematografien brauchen und bedingen einander. Das französische Kino braucht das italienische Kino, spanische, englische, deutsche. Das ist wie eine gemeinsame Nahrung.

Der Film läuft seit 1.8.