Der Dauerklon

Bjørn Melhus erzählt in immer neuen Variationen Geschichten von der Suche nach anderen Welten – deren Hauptdarsteller er stets selber ist. Seine Videoarbeiten sind jetzt in der Kunsthalle zu sehen

Eine neue, eine bessere Wirklichkeit wird herbeigesehnt, erreicht wird sie jedoch nie

Kommen Sie. Es ist ganz leicht. Sie brauchen nur sich selbst und einen Fernseher. Setzen Sie sich vor die Mattscheibe. Gleich geht‘s los. Konzentrieren sie sich. Das Programm ist nicht wichtig, gehen sie nur näher heran an den Bildschirm. Und keine Angst. Sehen sie, wie sich das Bild auflöst? Spüren sie, wie die unzähligen Farbpartikel sie in den Apparat hineinsaugen? Grün, Gelb, Blau, Rot. Hinein in eine andere Welt. Streifen sie ihr altes „Ich“ einfach ab. In dem bunten Flimmerkasten warten genügend Identitäten und Wirklichkeiten für alle. Nun sind sie da. In der Welt von Bjørn Melhus.

Die neue Ausstellung „Bjørn Melhus - Video“ in der Kunsthalle Bremen füllt die Farbpalette des Fernsehens mit Geschichten. Die Videoinstallationen, Filme und Filmclips sind mal kurz, mal haben sie Spielfilmlänge. Ein quadratisch angelegter Rundgang führt den Besucher um ein ebenso quadratisches Zentrum herum. In einzelnen Nischen sind die Geschichten auf Minibildschirmen oder als Großprojektion zu sehen. Ausgerüstet mit kabellosen Kopfhörern taucht man in virtuelle Farbkästen ein. Handelnde Person ist immer Melhus. Er will keine Schauspieler engagieren, da er sich als Teil seiner Arbeiten sieht. Melhus verkörpert seine erfundenen Identitäten selbst. Wenn er die Lippen bewegt, hört man Vertonungen aus amerikanischen Werbespots, Filmen aus den 50ern und 60ern oder er lässt Musiker wie den jungen Michael Jackson, Jim Morrisson oder Janis Joplin sprechen. Melhus‘ Arbeiten gehen von der Tonspur aus. Erst dann erschafft er seinen visuellen Film drumherum.

Grün ist der Anfang. „Again and Again“ (aus dem Jahr 1998) zeigt auf acht Bildschirmen acht Klone eines Menschen. Als Werbespot bieten sich die Zwillinge zur Verfielfältigung an, bis sie sich schließlich gegenseitig verstoßen. „Again and again“. Eine Geschichte mit Anfang und Ende in ständiger Wiederholung.

Gelb: Ein Mann erscheint in Großformat aus hellem Licht. „Weeping“ (2001) präsentiert in doppelter Ausführung Melhus als Poppriester, vornehm gekleidet mit Jackett und Kravatte. Die Stimme ist von Mark Chironna, in den USA eine bekannte Gestalt in der religiösen Fernsehwelt. Von Erlösung wird da gewettert und von Reinigung der Seele. Ausnahmsweise wird hier keine Geschichte erzählt. Sinnentleert und Bildgewaltig feuert der Kunstpfarrer ausgehölte Heilslehren unters Volk.

Vorbei am Blau der Installation „Blue Moon“ (1997/1998) entdeckt man in einer Nische das wohl wichtigste Werk des Künstlers: Den Film „Weit Weit Weg“ aus dem Jahr 1995. Er ist seine längste Arbeit (39 Minuten) und ebenso die persönlichste des Künstlers. Melhus spielt hier mit dem Film „The Wizard of Oz“, den Victor Flemming 1939 gedreht hat. Dorothy, alias Bjørn Melhus mit der Stimme Judy Garlands‘, versucht mittels eines Handys Kontakt zu einer Person im Fernseher aufzunehmen. Dorothy sitzt vor der Mattscheibe und will raus aus ihrer Welt. Doch der Tele-Spiegel lässt sie nicht ein. Zusehends verändert sich ihr medialer Doppelgänger; er wird männlicher und männlicher. Am Ende des Films ist sie zurück zum Anfang gekehrt. Eine Kreisgeschichte. Den Übergang in eine neue Realität oder ein neues „Ich“ hat Dorothy nicht geschafft.

Dieser Aspekt ist in allen Arbeiten zu finden. Eine neue, eine bessere Wirklichkeit wird herbeigesehnt, erreicht wird sie jedoch nie. Ebenso fällt auf, dass der Umgang mit Sprache eine zentrale Stellung in der Ausstellung ausfüllt. Für den Künstler wichtiger als das Bild. Melhus ist der Ansicht, Identität bilde sich aus Sprache, nicht aus Bildern. Angesichts der Bilderflut die tagtäglich auf uns hernieder prasselt ist dieser Ansatz schwer nach zu vollziehen. Wir sehen. Erst dann hören wir, wenn überhaupt. Ist es das, was uns die Identitätsfindung so beschwerlich macht? Nicht alles kann beantwortet werden im Bunt der Fernsehpartikel und der daraus entstehenden Fragmentpuzzelei.

Und vergessen Sie nicht, Sie sitzen noch immer vor dem Fernseher. Entfernen Sie sich langsam von ihren Bildschirmen. Stellen Sie die Lehne ihres Fernsehsessels senkrecht und notieren Sie sich nach dem Besuch dieser Ausstellung folgende Fragen: Nehme ich die Realität wahr? Oder maskiere ich sie und wandel sie nur ab? Nehme ich die Abwesenheit der Realität wahr? Oder ist es nicht völlig Wurst, welche Realität ich wahrnehme und reflektiere, weil sie eh schon eine vorausgegangene Realtität reflektiert?

Hannes Krug

Bis zum 22. September in der Kunsthalle Bremen. Übersetzungen der überwiegend englischen Originaltöne sind an der Kasse erhältlich. Der Katalog mit Interview und wissenschaftlichen Texten kostet 23 Euro.