Gebirgsluft und Maschinenölduft

Zwischen Chemnitz und dem Erzgebirgskamm wird alten Bergwerken und Betrieben neues Leben eingehaucht. Der Zweckverband Industriemuseum versucht die Spuren ruhmreicher sächsischer Industriegeschichte zu bewahren

„In der DDR war Karl-Marx-Stadt der führende Industrie-Ballungsraum.“

von MICHAEL BARTSCH

„Wir haben halt kein Grünes Gewölbe, kein Schloss und keine goldenen Kuppeln, wir haben rauchige Schlote, Gerüste und rostige Maschinen!“ Jörg Feldkamp, Geschäftsführer und zugleich Direktor des Zweckverbandes Sächsisches Industriemuseum, weiß um die Imageprobleme, welche die „Kathedralen der Arbeit“ ganz besonders in Ostdeutschland haben. Schließlich galten die Betriebe der DDR insgesamt als eine Art Industriemuseum. Sogar in Sachsen, dessen Polithäuptlinge und Werbeagenturen allenthalben der ruhmreichen technischen Leistungen der Großväter auf die Gegenwart projizieren wollen, stieß der Aufbau eines Landesmuseums auf enorme Schwierigkeiten. Seit 1998 sind zumindest fünf Standorte in einem zur Hälfte von den Kommunen finanzierten Zweckverband zusammengefasst.

Nun wird auch der bildungswilligste Kurzurlauber die Region, um die es hier geht, in keinem Reiseführer finden, die höheren Lagen des Erzgebirges einmal ausgenommen. Es ist das mittel- und westsächsische Industrierevier, im weitesten Sinne der Raum um Chemnitz zwischen Freiberg und den schon zu Thüringen gehörenden „Wismut“-Halden bei Ronneburg.

Aus dem hinter Chemnitz ansteigenden Erzgebirge und seinem Vorland stammte der Reichtum Sachsens im Mittelalter, als hier der Silber- oder Zinnbergbau in Blüte stand. Städten wie Freiberg oder Annaberg sieht man die frühere Pracht heute noch an. Bis zum zweiten Weltkrieg wurde in dieser Region das höchste Bruttosozialprodukt pro Kopf in Deutschland erzeugt. Die Textilindustrie machte den Engländern Konkurrenz, der Maschinenbau bestimmte die Weltspitze, und der spätere „Trabi“ war nur noch ein kurioser Nachklang des Fahrzeugbaus bei Horch in Zwickau. Bis zu ihrem Zusammenbruch galt auch in der DDR der Bezirk Karl-Marx-Stadt als der führende industrielle Ballungsraum.

Ist diese Erinnerung eine Reise wert? Nun gibt es für den Touristen in der Tat westlich von Glauchau bei einer Fahrt auf der A 4 kaum etwas zu entdecken, was das Auge fesseln oder das Technikerherz höher schlagen lassen könnte. Einige wenige erhaltene Zeugen des Uranbergbaus für sowjetische Atombomben etwa, die bei der „Wismut“-Sanierung verschont wurden. In Crimmitschau ist die ehemalige Volltuchfabrik der Gebrüder Pfau komplett funktionsfähig abgeschaltet worden und gehört heute zum Zweckverband Industriemuseum. Mit einem überwiegend aus den Dreißigerjahren stammenden Maschinenpark wurden in Wolferei, Spinnerei, Weberei und Färberei noch bis 1990 Tuche produziert. Vieles wirkt hier wie gestern verlassen, vom gespenstischen Transmissionsantrieb in der Wäscherei bis hin zu sozialistischen Losungen und aufgeschlagenen Dienstbüchern. Wären Wende und Währungsunion ein oder zwei Jahre später gekommen, hätte sogar die DDR das Werk geschlossen.

Südlich von Chemnitz lassen sich Touren starten, bei denen sich industriegeschichtliche Fährtensuche und Mittelgebirgserholung glücklich miteinander verbinden lassen. Auch Chemnitz selbst bietet in dieser Hinsicht eine Menge geschichtliche Einblicke. „Was in Chemnitz geschaffen wird, wird in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst!“ lautet ein bis heute in verschiedenen Abwandlungen kursierendes feudales Sprichwort über das sächsische Städtedreieck.

Seit Chemnitz wieder Chemnitz und nicht mehr Karl-Marx-Stadt heißt, versucht es auch äußerlich das Bild der hässlichen Arbeiterstadt abzulegen. Städtebaulich ist das nur bedingt gelungen, aber die Universität belegt in deutschen Rankings stets Spitzenplätze, und das Theater ist zumindest innovativer als die Dresdner Semperoper. Das bisherige städtische Industriemuseum soll bis zum Frühjahr des nächsten Jahres als „Flaggschiff“ des Sächsischen Industriemuseums in den neuen Standort Zwickauer Straße umziehen.

Die ehemalige Harlaß-Gießerei ist ein reich gegliederter Backsteinbau mit wunderschönen Rundbögen. Auch dieses Kleinod der Industriearchitektur entging nur knapp der Sprengung durch die DDR-Behörden. Zu danken ist dies dem cleveren damaligen „Bezirkskabinett für Kulturarbeit“, das einige Wandfresken einer Chemnitzer Künstlerin darin kurzerhand unter Denkmalschutz stellte. 17 Millionen Euro hat der Freistaat bislang in die Sanierung investiert, kürzt aber jetzt beim Verwaltungshaushalt und gefährdet so den laufenden Betrieb. In den beiden riesigen Hallen soll ein Gesamtüberblick über die sächsische Industriegeschichte gegeben werden. Der Besucher kann bei vertieftem Interesse über ein museumseigenes Intranet selbstständig weiterrecherchieren. Bemerkenswert am Ausstellungskonzept ist, dass es nicht bei technischen Fragen stehen bleibt. „Wir reflektieren auch das soziale Umfeld“, betont Direktor Feldkamp. Von der Arbeiterbewegung und den teils unsäglichen Arbeitsbedingungen reicht die Problematik bis zur Konsumgesellschaft und der Bedürfnissuggestion unserer Tage. Nicht von ungefähr kam mit August Bebel auch der erste sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete aus dieser Region.

Von Chemnitz aus fährt man zweckmäßig zunächst in das östlich gelegene Augustusburg und seinem weithin sichtbar auf dem Berg liegenden Renaissanceschloss. Das hier seit langem untergebrachte Motorradmuseum ist ein Leckerbissen für alle Biker und Freunde des lärmenden Zweirades. Keine 20 Kilometer südöstlich liegt an einer langen Steigung der B 101 das Kalkwerk Lengefeld. Eine Führung rühmt „475 Jahre funktionierenden Bergbau“, erwähnt aber auch den Umbau zum Museum bereits in den Achtzigerjahren. Die Abbaustätten befinden sich zum Teil in einem beeindruckenden Tagebruch unmittelbar unter dem Werk. Ein gesonderter Ausstellungsraum erinnert an die Auslagerung und Rettung von Schätzen der Dresdner Kunstsammlungen im Werk während der Kriegsjahre.

Das Schaubergwerk im unweit gelegenen Ehrenfriedersdorf gehört ebenfalls zum Zweckverband Sächsisches Industriemuseum. Das Besondere daran ist die heutige Nutzung als Asthmaheilstollen und ein angeschlossenes mineralogisches Museum. Hier oben ist man schon mitten im Erzgebirge, das pultschollenartig zur tschechischen Grenze hin ansteigt und dort steil abfällt. Ein grundfreundlicher, stoischer, aber sprichwörtlich hausbackener und königstreuer Menschenschlag ist hier zu Hause. Alle paar Kilometer kann man die kommerzialisierte Heim- und Heimatlichkeit in Erzgebirgsstuben käuflich erwerben, vor allem die Grundausstattung des bürgerlichen Weihnachtszimmers. Beinahe ebenso häufig trifft man auf Modellbahnen, sei es im Garten oder in überdachten Paradiesen. Und dazwischen immer wieder Zeugnisse des Bergbaus und früherer Industriekultur.