Futter für die islamische Rechte

Beim Besuch in Teheran wurde EU-Koordinator Javier Solana deutlich: Ohne Reformen wird es kein neues Wirtschaftsabkommen mit Iran geben. Die Konservativen jubeln

Die Reformer brauchen außenpolitische Erfolge und Iran ist ökonomisch auf Europa angewiesen

Die Europäische Union will mit dem Iran über ein Handels- und Kooperationsabkommen verhandeln. Anders als die USA, die bereits wenige Monate nach der Gründung der „Islamischen Republik“ die diplomatischen Beziehungen zu Iran abgebrochen und einen Wirtschaftsboykott gegen das Land verhängt hatten, vertrat die EU stets die Auffassung, eine Öffnung Irans sei durch Dialog und Kooperationsbereitschaft zu erreichen.

Dieser Kurs wurde auch dann fortgesetzt, als die USA nach der Amtsübernahme Präsident George W. Bushs und vor allem nach den Anschlägen vom 11. September den Druck auf Iran verschärften. Bush bezeichnete das Land – neben Nordkorea und Irak – als Teil der „Achse des Bösen“ und versuchte durch Druck auf Russland, China und Europa, Iran immer mehr zu isolieren. Trotzdem setzte die Europäische Union ihren Kooperationskurs fort – und machte gleichzeitig deutlich, dass diese Kooperation von bestimmten politischen Voraussetzungen vor allem bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte abhängig ist.

Der Teheran-Besuch des EU-Koordinators für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, sollte in der vergangenen Woche gerade diesem Aspekt Nachdruck verleihen. Doch ob Zufall oder Absicht – der Zeitpunkt war denkbar ungünstig gewählt. Denn die Ereignisse der davor liegenden Wochen erweckten zumindest den Verdacht, als hätten die Gegner der Annäherung Irans an die EU versucht, alle Mittel einzusetzen, damit der Besuch Solanas statt zum Konsens zu einer Verschärfung führt.

Zu den Gesprächspartnern des EU-Koordinators gehörten neben Staatspräsident Chatami und Außenminister Charrasi auch der Vorsitzende des Ausschusses für Außenpolitik und nationale Sicherheit Mohsen Mirdamadi. Wie peinlich: Wenige Tage zuvor war Mirdamadi in seiner Eigenschaft als Herausgeber der Tageszeitung Noruz zu sechs Monaten Gefängnis, 20 Millionen Rial Geldstrafe und vier Jahren Verbot journalistischer Tätigkeit verurteilt worden. Seine reformorientierte Zeitung darf sechs Monate lang nicht erscheinen.

Doch damit nicht genug: Kurz vor Solanas Ankunft wurde der 73-jährige Journalist Siamak Purzand, der zuvor zu elf Jahren Gefängnis verurteilt worden war, zu erniedrigender Selbstbezichtigung gezwungen. Er musste auf einer inszenierten Pressekonferenz, die am selben Abend vom staatlichen Fernsehen übertragen wurde, öffentlich Reue üben und bekennen, im Auftrag der USA und in Zusammenarbeit mit den Monarchisten auf den Sturz der Islamischen Republik hingearbeitet zu haben.

Zudem verbot das Islamische Revolutionsgericht in einem selbst für die Konservativen überraschenden Urteil die „Freiheitsbewegung“ – eine Organisation, die seit über 40 Jahren besteht und während der Revolution und in den ersten Jahren danach eine wichtige Rolle gespielt hatte, später aber auf kritische Distanz zu den Machthabern gegangen war. Die „Freiheitsbewegung“ verfügt über eine breite Basis in der Bevölkerung. Das Gericht verurteilte ihre wichtigsten Mitglieder – darunter zwei ehemalige Minister – zu langjährigen Haftstrafen.

Die Organisation der Revolutionswächter, der militärische Arm der Islamischen Republik, die eine weitaus größere Rolle spielt als die Armee, veröffentlichte eine Erklärung, in der sie die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten, die der Reformfraktion angehört, als fünfte Kolonne der USA bezeichnete und drohte, sie sei nicht länger bereit, die Kollaboration mit dem größten Feind Irans zu dulden. Revolutionsführer Chamenei bekräftigte diese Warnung und drohte, sollte er bei der Führung der Legislative, Exekutive oder Judikative Abweichungen von den Grundsätzen der Revolution feststellen, werde er die nötigen Konsequenzen ziehen. All dies, meinen Beobachter im Land, deute auf einen bevorstehenden Staatsstreich der Rechten.

Die Zuspitzung der politischen Lage veranlasste die reformorientierte Partei Moscharekat, die im Parlament die Mehrheit stellt, zu einer ungewöhnlich scharfen Kritik der Blockadepolitik und der dauernden Provokationen der Konservativen. Auf einem Kongress, der vorige Woche in Teheran stattfand, erwog die Partei gar einen Rückzug aus dem Parlament. Ajatollah Taheri, der einflussreiche Freitagsprediger von Isfahan, legte vor zwei Wochen sein Amt als Freitagsprediger nieder – mit der Begründung, er könne die waltende Ungerechtigkeit im Land nicht länger mit seiner Auffassung vom Islam vereinbaren.

Die Rechten nutzen jede Konfrontation mit dem Westen, um gegen die Reformer zu mobilisieren

Auf all diese Ereignisse reagierte Solana mit ungewöhnlich scharfer Kritik – nicht etwa hinter verschlossenen Türen und als Pflichtübung, sondern öffentlich auf einer Pressekonferenz. Das Erstaunliche dabei war, dass seine Äußerungen mit den Worten, die Präsident Bush am 12. Juli in Washington an die Machthaber Irans gerichtet hatte, nahezu identisch waren. Der EU-Koordinator forderte den Gottesstaat unmissverständlich auf, die Menschenrechte zu achten, die Justiz zu reformieren, auf den Bau von Massenvernichtungswaffen zu verzichten, die UNO-Resolution 1373 gegen den internationalen Terrorismus zu akzeptieren, die Unterstützung bewaffneter Organisationen in Palästina zu unterlassen und sich stattdessen für den Frieden zwischen Israel und Palästina einzusetzen. Und damit nicht genug: Solana äußerte sein Bedauern darüber, dass die Reformen im Iran ins Stocken geraten seien. Ohne spürbare Veränderungen aber sei ein Handelsabkommen mit der EU nicht möglich.

Hat der Druck aus Washington gewirkt? Sind die Staaten der Europäischen Gemeinschaft nun doch bereit, in die Fußstapfen der USA zu treten? Die Folgen wären verheerend. Denn von einem solchen Kurswechsel würden allein die rechten Islamisten profitieren. Jede Konfrontation mit dem Westen dient ihnen zur Legitimation ihrer Macht und liefert die Handhabe, ihr Fußvolk gegen die Reformbewegung zu mobilisieren. Seit der Wahl Chatamis zum Staatspräsidenten und erst recht, seitdem die Reformer im Parlament die Mehrheit stellen, haben die Rechten mit allen legalen und illegalen Mitteln versucht, die Reformen zu torpedieren. Ihr Ziel ist, dass das Volk alle Hoffnung auf eine Öffnung und Liberalisierung der iranischen Gesellschaft, die es vor fünf Jahren in Chatami und seine Regierung gesetzt hatte, verliert. Dieses Ziel haben sie inzwischen weitgehend erreicht.

Die Reformbewegung steht vor einer Spaltung. Chatamis Basis im Volk ist stark geschrumpft. Schon präsentiert sich Ex-Staatspräsident Rafsandschani, eine der einflussreichsten Figuren der Rechten, als Retter der Nation und bereitet sich auf eine erneute Machtübernahme vor. Die Reformer brauchen außenpolitische Erfolge, und Iran ist ökonomisch auf enge Beziehungen zu Europa angewiesen. Die Verknüpfung eines Handelsvertrags mit politischen Forderungen seitens der EU ist richtig und notwendig. Doch ein Kurswechsel von Kooperation zur Konfrontation würde der Reformbewegung einen schweren Schlag versetzen. BAHMAN NIRUMAND