Keine Chaostage

Hunderte Punks wollten „sehr nachhaltig“ München erreichen, wurden aber festgesetzt oder verwiesen

MÜNCHEN taz ■ Extra für die Chaostage ließ sich der Münchner Student Markus B. die Rückseite seines T-Shirts mit dem Spruch „Stoiber … find ich scheiße!“ bedrucken. Die schwarzen Lettern reichten der Polizei am Freitagabend für die Festnahme des 25-Jährigen. Sie zeigte ihn wegen „Beleidigung einer Person höherer Ehre“ an, berichtete er. Die Nacht musste der Nichtpunk im Polizeipräsidium verbringen.

20 Jahre nach den ersten Chaostagen in Hannover ließ die Polizei den Punks keine Chance, sich dieses Wochenende in München zu treffen, um es angeblich in „Schutt und Asche zu legen“. Polizeieinsatzleiter Jens Viering feierte seine Taktik gestern: „Die Münchner Linie hat sich bewährt.“ Schließlich liege die Stadt nicht in Trümmern. „Selbst Staatskanzlei und Rathaus stehen noch“, schwärmte Viering.

Doch gab es überhaupt Anzeichen für Gewalt? „Unter den neun Festnahmen ist nichts Weltbewegendes dabei“, musste der Einsatzleiter einräumen. Gewalttaten blieben völlig aus. Den neun Festgenommenen wurden Waffen- oder Drogenbesitz sowie Diebstahl und Beleidigung vorgeworfen. Die Polizei hatte dafür andere Probleme. Weil sie schon vorzeitig hunderte der 2.000 Beamten nach Hause schickte, gab es plötzlich 400 Mahlzeiten zu viel. Sie wurden einem Obdachlosenheim gespendet.

Nicht zimperlich gingen die Sicherheitskräfte mit 124 Punks um. Auf der Grundlage einer städtischen Verordnung landeten sie in Vorbeugehaft. Bundesweit hinderte die Polizei nach eigenen Angaben rund 1.000 Punks mit Platzverweisen daran, an den Chaostagen teilzunehmen. Am härtesten erging es dutzenden Münchner Punks, die unter Hausarrest gestellt wurden. Auch in Essen wurden 35 Punks vorläufig festgenommen. Viering meinte: „Man wollte sehr nachhaltig die Stadt erreichen. Es hat bloß nicht funktioniert, anders als in den Jahren zuvor.“

Die letzten Krawalle liegen allerdings schon sieben Jahre zurück. In Hannover brannten 1995 auf einigen Straßen Barrikaden. Der Sachschaden betrug rund 400.000 Euro. Vor einem Jahr nahm die Polizei 460 Punks in Dortmund und 58 in Cottbus fest. Die Münchner Grünen-Chefin Anja Berger warf der Stadtspitze und der Polizei eine „massive Einschränkung der Demokratie“ und Hysterie vor. Die städtische Allgemeinverfügung gegen die Chaostage habe „über das Ziel hinausgeschossen“.

OLIVER HINZ