In den Körper eingeschrieben

Seit 57 Jahren macht der Hamburger Seemann, Zuhälter und Hausmeister „Tattoo-Theo“ seine Haut zum Kunstwerk. N3 sendet heute ein arg liebevoll geratenes Porträt des 70-Jährigen

von MATHIAS WÖBKING

Manchmal, wenn Theodor Vetter spazieren geht, zieht er sich einen Anzug an und setzt sich einen Elbsegler auf die Halbglatze. Von den 250 Tätowierungen an seinem Körper ist dann nichts mehr zu sehen: Das Gesicht ist, neben den Fußsohlen, die einzige Stelle auf der Haut des 70-jährigen Rentners, an die er bislang keine Tätowiernadel heranließ. Der Rest seines Körpers ist bunt. Das offenbart er, wenn er sich ohne Anzug und Mütze im String-Tanga zeigt.

Vetter präsentiert sich gern ganz nackt. Da ist es gut, dass Susanne Gernhuber in ihrer Reportage über „Tattoo-Theo“ nicht nach dem Voyeurismus des Pub-likums schielt. Als Freak erscheint er nur, wenn der Film von einer Tattoo-Convention berichtet. Allzu sehr jault der Moderator des Treffens ins Mikrofon, als er Vetter auf die Bühne bittet. Die Filmemacherin dagegen sagt: „Tattoo-Theo ist nicht der schräge, alte Vogel, als der er häufig hingestellt wird“ – trotz seines bewegten Lebens als Mat-rose, Gelegenheitskellner und Zuhälter. Heute bessert der Senior seine Rente als Hausmeister auf und kümmert sich um die alkoholkranke Ehefrau Ingemusch, seine vielen Hunde und die Graugans Heinrich.

Ein Schwert bohrt sich tief ins Herz. „Ofenruß und reingepinkelt“, lacht Vetter. Seine erste Tätowierung aus dem Jahr 1945 auf dem linken Unterschenkel ist mit den Jahren allerdings ein wenig verblasst. Von 1949 bis 1960 fuhr er zur See und brachte von jeder Reise ein Körperbild mit. Zurück in Hamburg kamen neue hinzu. Das Geld dafür verdiente er auf dem Kiez. „Zuhälterei hört sich gemein an“, sagt er und ergänzt: „Ich habe von Frauen gelebt.“ Ob er nur das Wort „Zuhälterei“ ablehnt oder sein damaliges Geschäft mit den Prostituierten selbst, ist leider nicht zu erfahren.

Weil der Film unangenehme Fragen scheut, gerät das Bild, das er von Vetters Leben zeichnet, vielleicht etwas zu schön. In der Davidstraße trifft der Ex-Zuhälter auf den 60-jährigen Hauptkommissar Jürgen Zismer. Gemeinsam schwärmen die beiden Männer von einer Zeit, als die Halbwelt St. Paulis aus ehrenhaften Jungs bestand. Im Gegensatz zu heute, versteht sich. Statt die Vergangenheit zu verklären, hätte man nach den Anfeindungen fragen können, die ein vollständig tätowierter Mensch erlebt haben muss.

Zwar kommt Gregor Rohmann vom Museum für Hamburgische Geschichte zu Wort, dem zufolge das Bürgertum der Jahrhundertwende die Manipulationen am Körper als Zeichen der Dekadenz und des Verbrechertums interpretierte. Außer Acht bleibt jedoch, dass auch noch die Kriminalisten der frühen Bundesrepublik Tätowierungen zu Stigmen einer kriminellen Veranlagung erklärten. Nur kurz wird dieses Thema angedeutet, als Vetter begründet, warum seine Haut im Gesicht frei geblieben ist: weil ihn die Menschen sonst für kriminell und asozial hielten. „Das bin ich nicht“, sagt er.

„Der Stadtteil, der Club, das Leben“, so wirbt der FC St. Pauli mit dem tätowierten Senior. Es gibt viele Klischees vom romantischen Kiez, Vetter verkörpert sie fast alle. In diese Falle tappt der Film zum Glück nur selten. „Immer mal wieder eine Prise Seeluft schnuppern, das braucht der Rentner wie sein täglich Brot“, heißt es dann aus dem Off. Im Hintergrund spielt ein Akkordeon „La Paloma“. Die Kamera begleitet Vetter auf den Schaufelraddampfer „Mississippi“.

„Zwischen Kiez und Kap Hoorn“, lautet der Untertitel der Reportage. Leider kommt die „Mississippi“ dem Meer nicht näher als bis Blankenese.

„Tattoo-Theo. Zwischen Kiez und Kap Hoorn“, heute, 21.45 Uhr, N3.