Angst vor dem Überwachungsstaat

Japans Regierung startet eine umstrittene zentrale Datenbank für Bürgerdaten und erlebt überraschend Proteste

TOKIO taz ■ „Nein zum Spitzelstaat“, steht auf den Transparenten vor dem Innenministerium in Tokio. Die „Bürgerliga gegen die nationale Identifikationsnummer“ rief zum Marsch auf die Meldeämter auf, um gegen die gestrige Einführung des „Juki-net“, einer zentralen Datenbank für Bürgerdaten, zu protestieren. Dem Aufruf folgten trotz Hitze und Ferienstimmung mehrere hundert Gruppen im ganzen Land. Die Demonstranten fürchten um die Sicherheit ihrer persönlichen Daten und werfen der Regierung vor, mit der zentralen Onlineerfassung in alte militaristische Kontrollmechanismen zurückzufallen.

Dabei preist die Regierung das neue Erfassungssystem mit einem Zentralrechner als einen der wichtigsten Schritte zu einer modernen elektronischen Verwaltung an. Statt wie bisher Namen, Adresse, Geschlecht und Geburtsdatum separat bei einer lokalen Behörde zu speichern, erhält jeder Japaner künftig eine elfstellige Nummer, die es Beamten landesweit erlaubt, die persönlichen Daten sofort abzurufen. Über 100 Millionen Euro an Verwaltungskosten sollen eingespart werden.

Umso überraschter waren Ministerpräsident Junichiro Koizumi und seine Beamten, als der Proteststurm vergangene Woche anschwoll. Nach einer Umfrage der liberalen Zeitung Asahi Shimbun misstrauen acht von zehn Bürgern dem neuen System. Ein besonders wütender Bürger schickte gar Drohbriefe mit Schrotkugeln an den Ministerpräsidenten, den Innenminister und mehrere Bürgermeister mit der Warnung: „Stoppt das Erfassungssystem oder fahrt zur Hölle.“ Angeführt wird der Protest von bekannten Kulturschaffenden und Akademikern. Sie fürchten, die Online-Erfassung werde weniger für eine effiziente Verwaltung als zur Bespitzelung der Bürger eingesetzt.

„Das Misstrauen gegenüber der Verwaltung ist unerhört gestiegen“, sagt der bekannte Schriftsteller und Gesellschaftskritiker Manabu Miyazaki. Er kämpft schon seit 1995, als die Einführung des Erfassungssystem beschlossen wurde, gegen die vernetzte Datenerfassung. „Die Gesetze zum Schutz der persönlichen Privatsphäre sind derart ungenügend, dass selbst ein grober Missbrauch der Daten nicht geahndet werden kann“, meint Miyazaki. Zwar brachte die Regierung in der vergangenen Parlamentssession ein neues Gesetz zum Schutz der Privatsphäre ein. Doch war es derart streng formuliert, dass es auch als scharfes Zensurgesetz gegen die freie Meinungsäußerung in den Medien benutzt werden konnte, weshalb es wieder zurückgezogen werden musste.

Konsequenzen aus den Protesten zog die Stadt Yokohama. Ihr 37-jähriger Bürgermeister Hiroshi Nakada verfügte, dass die Onlineerfassung der 3,4 Millionen Bewohner nur freiwillig erfolgt. Niemand wunderte sich, dass die Beamten gestern vergeblich warteten. ANDRÉ KUNZ