Atomfreies Baltikum

Für die EU kommt ein Beitritt Litauens nur in Frage, wenn das Land bis 2009 den Schrottreaktor Ignalina abschaltet

BERLIN taz ■ Was tun, wenn man noch kein eigenes AKW hat? Und was machen, wenn man auf einem Schrottreaktor sitzt, den aber abschalten muss, weil einem sonst der EU-Beitritt verwehrt wird? Alexander Michnewitsch, Vizeaußenminister von Weißrussland, weiß eine Lösung: Man erklärt kurzerhand das Gelände, auf dem das AKW steht, zum exterritorialen Gebiet und verkauft Anlage samt Grund an das Land, das noch nicht über Atomstrom verfügt, aber gerne in dessen Genuss käme.

Diesen Vorschlag unterbreitete die weißrussische Regierung kürzlich allen Ernstes der litauischen Seite. Brüssel hatte im Frühjahr mit der Regierung in Vilnius das Abschalten des Atomkomplexes vom Typ Tschernobyl vereinbart. Ein Beitritt Litauens könne nur dann wie geplant bis 2004 erfolgen, so die EU-Auflage, wenn Litauen garantiere, Ignalina bis spätestens 2009 abzuschalten.

Für die Litauer war das eine harte Nuss. Die beiden Reaktoren von Ignalina hatten schon bei Baubeginn 1976 heftige Diskussionen ausgelöst, rechnete man doch die beiden Siedewasserreaktoren, die den Elektrizitätsbedarf für große Teile der westlichen Sowjetunion abdecken sollten, schon damals zu den gefährlichsten AKWs der Welt. Als der erste Block 1983 in Betrieb genommen wurde, regte sich in der Bevölkerung Protest, die Katastrophe im baugleichen Reaktor Tschernobyl 1986 löste dann eine Massenbewegung aus.

Paradoxerweise gilt Ignalina den meisten Litauern heute als Sinnbild für Freiheit und Fortschritt. Der Atommeiler deckt mehr als 70 Prozent des Elektrizitätsbedarfs, Energieexporte nach Lettland, Weißrussland, Polen und in das Kaliningrader Gebiet sorgen zusätzlich für jährliche Staatseinnahmen in zweistelliger Millionenhöhe.

Dennoch bleibt die EU dabei: Das Baltikum soll frei von Atomstrom werden. Anders als für andere Regionen Ostmitteleuropas will Brüssel keinerlei Neufinanzierung von Atommeilern zulassen. Und eine Idee ist völlig vom Tisch: Den Vorschlag eines AKW-Tausches lehnten selbst die Litauer dankend ab. „Eine originelle Idee“, sagt Finanzminister Petras Cesna, „aber fern jeglicher Realität.“ ROLAND HOFWILER