Reparieren nach eigenem Gusto

Immer wieder äußern EU-Politiker ihre Sorge über den Zustand der AKWs in Osteuropa. Aber statt Abschaltung empfiehlt Brüssel oft „Überholung“

von ROLAND HOFWILER

Wer kennt nicht Škoda, den legendären Autohersteller aus dem tschechischen Pilsen? Doch wer weiß schon, dass die Škoda Holding nicht nur Autos produziert, sondern auch Atommeiler? Skoda Jaderné Strojírenství nennt sich der Subkonzern, der sich ganz auf den Bau von AKWs konzentriert – und weltweit expandiert. Kunden für Škoda-Meiler gibt es in der ehemaligen Sowjetunion, in Indien, ja selbst in den USA hat das Unternehmen beim Bau neuer Atomanlagen als Zulieferer Fuß gefasst.

Das große Geschäft allerdings wittert Škoda derzeit in Bulgarien. Dort gilt das einzige Atomkraftwerk des Landes, Kosloduj, mit seinen Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart, deren älteste Blöcke von 1969 stammen, als eines der gefährlichsten in Europa. Doch erst im kommenden Jahr werden die beiden Altreaktoren der sechsblöckigen Anlage endgültig vom Netz genommen, um die anderen Blöcke mit internationaler Hilfe auf den „neuesten Stand“ zu bringen.

Ein weiterer Atomkomplex bei Belene, an einem Seitenarm der Donau unweit der rumänischen Grenze gelegen, soll den „künftigen Stromexport sichern“. Ministerpräsident Sakskoburggotski verspricht goldene Zeiten: „Das wird die wirtschaftliche Unabhängigkeit Bulgariens im Energiesektor in den nächsten Jahrzehnten gewährleisten, und wir werden so eine der Hauptenergiequellen auf dem Balkan.“ Serbien, Mazedonien und Albanien sind schon jetzt auf bulgarischen Atomstrom angewiesen, ohne die Stromlieferungen würde das heimische Versorgungsnetz zusammenbrechen. Rumänien, Moldawien, Bosnien und Kroatien hängen mit am Kosloduj-Netz – bei steigender Nachfrage.

Auflage: „Überholen“

Die EU gab im Frühjahr ihren Segen zum Ausbau der Atomindustrie in Bulgarien, nachdem die Regierung der Abschaltung der Blöcke I und II in Kosloduj zugestimmt hatte. Seitdem bewerben sich neben Škoda noch Firmen aus Westeuropa, Russland und der Türkei um Aufträge. Und allem Anschein nach gibt es von EU-Seite keine Sicherheitsbedenken, wenn etwa unter Federführung von Škoda, der russischen Firma Atomstroiexport und dem US-amerikanischen Westinghouse-Konzern eine neuartige Kooperation entsteht. Die Tschechen verweisen vor der Atomlobby voller Stolz auf ihr AKW Temelín, jenen Skandalreaktor, der seit Jahren in Deutschland und vor allem in Österreich Schlagzeilen macht. Doch auf dem internationalen Atom-Parkett gibt es anscheinend keine Bedenken, wenn Škoda zusammen mit der Betreibergruppe des AKW Temelín um Belene buhlt.

Um den Großauftrag zu bekommen, hat die Prager Energiefirma „Energo Pro“ in Bulgarien kürzlich eine Tochtergesellschaft gegründet. „Energo Pro Bulgaria“ besitzt schon jetzt die Aktien-Mehrheit bei bulgarischen Wasserkraftwerken und hält einen unbekannten Anteil an Kosloduj. Umweltaktivisten fragen sich, ob die tschechische Regierung etwa mit dem Gedanken spiele, falls der politische Druck aus Berlin und Wien wegen Temelín zunehmen sollte, den Skandalmeiler langfristig doch abzuschalten, dafür aus Bulgarien den benötigten Strombedarf zu importieren.

Öffentlich äußern sich EU-Spitzenpolitiker meist besorgt über den Zustand der Atomkraft in der anderen Hälfte Europas. Aber in der Praxis müssen die EU-Beitrittskandidaten ihre Atommeiler nicht gleich schließen, wollen sie der Gemeinschaft demnächst angehören. Die Auflage aus Brüssel heißt „Überholung“ – und das fast nach eigenem Gutdünken.

Ein Beispiel dafür ist Krško, der einzige Atommeiler des untergegangenen Jugoslawien. Als das AKW 1983 ans Netz ging, war der Aufschrei im Westen noch groß – wie könne man nur ein AKW in einem so erdbebengefährdeten Gebiet errichten lassen. Es war ein offenes Geheimnis: Jugoslawiens KP-Chef Tito wollte mit Krško nur prahlen, zu welchen Höchstleistungen jugoslawische Ingenieure mit etwas US- und russischer Hilfe fähig seien – nur wenige Kilometer von seinem Geburtsort entfernt.

Fast zwanzig Jahre später: Krško blieb ein Skandalreaktor, pausenlos gibt es Probleme, ständig wird ausgebessert, überholt, abgeschaltet und wieder neu gewartet. „Was da alles nicht mehr richtig funktioniert, das versteht kein Mensch mehr“, schrieb kürzlich die slowenische Zeitung Delo. „Und wer da alles Hand anlegt, entgeht jeder Kontrolle.“

Neben der US-Firma Westinghouse und russischen Unternehmen, so viel ist bekannt, beteiligt sich neuerdings auch noch Siemens am 632-Megawatt-Meiler. Mit dem Einbau von zwei neuen Dampferzeugern will die slowenische Regierung die Lebensdauer von Krško sogar noch bis ins Jahr 2023 sichern, allen Protesten zum Trotz. Ein „zusammengeschustertes Ungetüm“ nennen Umweltgruppen das AKW.

Schrottmeiler im Westen

Ob in Tschechien, der Slowakei, in Ungarn oder Rumänien – überall setzen die Verantwortlichen auf die Atomenergie. In keinem der EU-Anwärterstaaten sind die Politiker bereit, mehr als jene Sicherheitsvorkehrungen zu übernehmen, wie sie seit Jahren in Spanien, Frankreich oder Großbritannien gelten. Das Wiener Ökologie-Institut hat in einer Studie herausgefunden, dass Schrottreaktoren wie die britische Anlage Sizewell-B oder die französischen Meiler Chooz-B and Civaux nicht sicherer sind als manches AKW in Ostmitteleuropa. Selbst deutsche und Schweizer AKWs älterer Bauart, erklärt die Studie, seien teilweise „so risikoreich wie Temelín“, jener tschechische Reaktor, den Wien abgeschaltet sehen möchte, bevor Prag der EU beitritt.

Das Ökologie-Institut kritisiert ferner, da verbindliche Sicherheitskriterien schon unter den EU-Altmitgliedern fehlten, falle auch die Bewertung darüber, wie sicher östliche AKWs sein müssten, je nach nationalem Standpunkt der einzelnen Mitgliedsstaaten extrem unterschiedlich aus. Die Briten liefern etwa angereicherte Brennstäbe aus ihren Schrottreaktoren für das ungarische Paks, französische und kanadische Firmen übernehmen die Erweiterungsarbeiten am rumänischen Cernavodă und beteiligen dabei auch russische Zulieferer.

Kritik aus London und Paris an der Atompolitik der EU-Anwärter kommt so gut wie nie. Wen wundert, dass die slowakische Regierung jüngst die beiden Sowjetmeiler Mochovce und Bohunice zur Privatisierung ausschreiben ließ, mit der ausdrücklichen Empfehlung an britische und französische Firmen, das Angebot doch bitte eingehend zu prüfen. Deutsche Unternehmen und vor allem Škoda aus Pilsen, heißt es in der Erklärung aus Bratislava, wolle man erst in einer zweiten Runde berücksichtigen.