Einmal zum Erzfeind und zurück


Die Migranten der 90er-Jahre haben weniger ideologische Probleme mit dem Castro-System

aus Miami MAIKE CHRISTEN

Der Kämpfer aus Bronze richtet sein Gewehr auf den Feind in der Ferne. Mit starrem Blick schaut er über den hageren, alten Mann vor ihm. Der sagt ruhig: „Die Reisen nach Kuba müssen gestoppt werden.“ Er reckt seinen Kopf aufrecht in die Mittagshitze Miamis, beißt ein Stück von einer braunfleckigen Banane ab und zeigt auf ein handgemaltes Plakat, das neben dem Kämpfer hängt. Mit rotem Filzstift stehen darauf Forderungen, an US-Präsident George W. Bush gerichtet, wie mit Kommunismus-Touristen umgegangen werden müsste: Aberkennung der amerikanischen Staatsbürgerschaft und des Aufenthaltsrechts, Kürzung der staatlichen Hilfe, keine Rückkehrmöglichkeit in die USA. Gezeichnet: Acción Cubana, Generalsekretär Gilberto Casanova.

„Gilberto Casanova, das bin ich“, stellt sich der Alte vor, nimmt die Banane in seine linke Hand und streckt die Rechte zum Gruß aus. All seine Zeit und all das Geld, das er als Arbeiter im Supermarkt verdient, investiert er in die Kämpferstatue und auch in Plakate und Flugblätter. Dieser Kampf ist sein Leben. Gewidmet dem Glauben, dass irgendwann einmal die Zeit zurückschnellen wird in ein Damals, als Fidel Castro noch nicht die alte Heimat beherrschte. „Täglich fahren tausend Kubaner aus den USA nach Kuba“, sagt der Alte, „trotz Handelsembargo! Das kubanische Problem kann man nur mit Blei lösen. So wie wir es in Panama gemacht haben, in Granada und am Persischen Golf.“

Wie Gilberto Casanova denken die meisten der alten Exilkubaner. In der Calle Ocho, dem Herzstück von Miamis Klein-Havanna, wo auch der Bronzekämpfer steht, haben sie sich in 40 Jahren selbst gewählter Verbannung eingerichtet. Sie treffen sich an der Fensterluke vom „La Reina“ und trinken den Café Cubano schwarz und zuckersüß. In den Schaufenstern der Geschäfte warnen verblichene Plakate vor dem Kauf von Telefonkarten, deren Gewinn angeblich direkt auf Fidel Castros Konto fließt. Während die Alten so auf das Ende des Kommunismus warten, mischen sie im Schatten der Bäume klackernd ihre Dominosteine.

Sie sind nicht die Einzigen, die Havanna nachtrauern. Auch die Mitglieder der mächtigen kubanisch-amerikanischen Nationalstiftung der Superreichen träumen noch immer von der Zuckerrohrinsel – und von ihren ehemaligen Ländereien dort. Ginge es nach ihnen, wären Besuche in Kuba nicht nur US-Bürgern verboten, sondern allen anderen Lebewesen der Erde ebenfalls. Sie fürchten, dass sich die Beziehung zwischen den USA und Kuba durch die Reisen auf das kommunistische Fleckchen normalisiert und kurz vor Castros Abgang die Insel – und damit die alten Ansprüche – endgültig verloren geht. Ihre Befürchtung ist gar nicht so irreal.

Jedenfalls nicht, wenn man an all die Exilkubaner denkt, die die Ausnahmeregel des Handelsverbotes nutzen und so legal ins Feindesland reisen können. Oder die, die illegal nach Kuba reisen. Dass es immer mehr werden, hat einen einfachen Grund: Die Scharen der Kubaner, die Anfang der 90er-Jahre auf Flößen von der Insel flohen, können sich nach einigen Jahren Arbeit in den USA Ausflüge zu ihren Verwandten leisten. Zu Vater und Bruder, zu Frau und Kind. Im Gegensatz zu den Alten, die in den 60er-Jahren flohen, haben sie enge Bindungen nach Kuba und kennen keine ideologischen Probleme, die sie abhalten, die Insel des „kommunistischen Tyrannen“ zu besuchen. Schließlich hatten sie sich lange genug mit dem System dort arrangiert, geflüchtet sind die meisten aus wirtschaftlichen Gründen.

Wie Alex. Der 26-Jährige ist 1994 mit einem Floß nach Florida geschippert. „Auf Kuba arbeitest du hart und verdienst nichts“, sagt er, „in Amerika arbeitest du hart und bekommst was dafür.“ In den sieben Jahren in Miami hat er sich ein Haus gekauft und einen glänzend-neuen Ford-Kombi.

Alex sitzt im Reisebüro „Marazul“ in Klein-Havanna, fünf Kilometer entfernt von Generalsekretär Casanovas Bronzestatue. Es ist Samstagnachmittag, kurz vor halb vier, und obwohl das Geschäft in wenigen Minuten schließt, wartet im kalten Neonlicht geduldig eine Hand voll Kubaner in schmutzigen Shorts und zerrissenen Sandalen, dass sie zu einem der acht Schreibtische gerufen werden. Ein halbes Jahr habe er auf seinen kubanischen Pass gewartet, erzählt Alex. 259 Dollar musste er „Marazul“ dafür bezahlen, dass sie das Dokument in Havanna besorgen. Jetzt benötigt er noch weitere Reisepapiere. Teuer sei das alles, sagt er, und Zeit koste es. Eine stämmige Frau kommt hinterm Schreibtisch hervor und weist der fremden Fragestellerin den Weg zur Tür. Gespräche mit Kuba-Reisenden sind unerwünscht, das Thema ist delikat.

Vom Gewinn des Reisebüros „Marazul“ profitiert der Besitzer, Francisco Aruca. Seine drei Filialen in Miami kümmern sich ausschließlich um die Fahrten auf Castros Insel. Das Geschäft boomt, die täglichen Direktflüge von Miami sind schon Monate im Voraus ausgebucht. „Mit diesen Reisen“, sagt Generalsekretär Gilberto Casanova leise zischend, „ist Francisco Gonzales Aruca zum Millionär geworden.“

Allein als Besitzer einer Reisebüro-Kette würde Francisco Aruca vielleicht nicht derart auffallen. Aber der 62-jährige gönnt sich eigene Radiosendungen, produziert in seinem eigenen Studio. Zwei Mal pro Tag hält er dort einen einstündigen Castro-freundlichen Monolog, einzig unterbrochen von Werbespots, die „Marazul“ anpreisen.

Francisco Aruca lümmelt im Ledersofa seines Wochenend-Appartments in Miami-Beach und plaudert über seine Treffen mit Fidel. Er spielt lachend vor, wie der „Máximo Líder“ den Fuß auf den Tisch legt und den Kopf schräg hält. Hinter Francisco Aruca liegt eine Fensterfront mit Blick auf den rosafarbenen Swimmingpool vier Stockwerke weiter unten, das Meer und die Palmen. Aruca redet ohne Unterlass. Er folgert und erklärt. Überprüft seine Wirkung mit einem kurzen Blick in die verspiegelte Wand vor ihm, schiebt mit der einen Hand ein „si“ weiter nach vorne, wischt mit der anderen ein „no“ weg. Die von der Nationalstiftung, die bis heute die Kubapolitik der USA bestimmen, hätten das Spiel verloren, sagt er lachend.

Alle paar Wochen fliegt Aruca nach Havanna. Kontakte pflegen und Material besorgen für seine Sendungen und seine Internetseite. Schließlich will er noch mehr Geschäfte mit Kuba machen.

Auch Silvia Wilhelm arbeitet an den Verbindungen beider Länder. Natürlich kennt sie Francisco Aruca, so wie in Miami jeder jeden kennt, der aus derselben Gesellschaftsschicht kommt und in dessen Apartment silbergerahmte Familienbilder in Grüppchen auf Anrichten und Tischen stehen, als wollten sie über die Gegenwart diskutieren. Die Fotofamilie schaut auf die Verwandte, die von ihrer Mission erzählt: 1999 gründete die 56-Jährige den Verein „Puentes Cubanos“, „Kubanische Brücken“, der Exilkubaner und Inselkubaner durch kulturelle und soziale Projekte einander näher bringen soll. Alle drei Monate fährt sie seither nach drüben, um Projekte anzuschieben, mit Künstlern zu sprechen, Ideen auszutauschen. „Eigentlich habe ich Kuba nie ganz verlassen“, sagt sie und zeigt auf die goldgerahmten Stiche mit Havanna-Motiven an der Wand, auf die kubanischen CDs in der Ecke. Und blickt durch das Wohnzimmerfenster auf das Wasser der Biscayne-Bay. 45 Flugminuten von hier übers Meer liegt Kuba, 45 Flugminuten liegen zwischen Kapitalismus und Kommunismus.

Als Silvia Wilhelm 33 Jahre nach ihrer Flucht das erste Mal wieder kubanischen Boden betrat, lief sie wie in Trance durch die Straßen, besuchte ihr Elternhaus, ihre Schule, fand die Stelle, an der sie zum letzen Mal ihren Vater gesehen hat. „Diese Reise war wie eine Reinigung, jeder Exilkubaner sollte das machen.“ Doch viele Alte reagieren noch wie Generalsekretär Casanova, das weiß Silvia Wilhelm. „Manche glauben, dass Miami Kuba sei“, erklärt sie, „aber Kuba gibt es, es liegt da draußen.“

Einer nach dem anderen lernen auch die alten Dominospieler der Calle Ocho dieses Kuba da draußen kennen. Denn sie wissen, dass sie den Fall Castros nicht mehr erleben werden. Ohne viel davon zu erzählen, fahren sie ins Feindesland. Sie besuchen Freunde, die sie 40 Jahre nicht gesehen haben. Sie nehmen auf Kuba Kontakt auf zur katholischen Kirche und erklären, mehr sich selbst als anderen, dass sie damit die Opposition unterstützen. Sie treiben verbotenen Handel mit kubanischen Zigarren und behaupten, dass sie damit ihren Bekannten drüben helfen. Manche kaufen sich gar über Mittelsmänner Häuser in Havanna und leben die eine Hälfte des Jahres auf Kuba, die andere in den USA.

Die Erzfeinde wissen nicht recht, wie sie damit umgehen sollen: Die USA hoffen, dass der Kommunismus unterhöhlt wird, und sorgen sich, dass der Gegner vom Dollarsegen profitiert. Kuba freut sich über die Devisen und fürchtet eine Unterwanderung. Die Folgen dieses Austausches aber können beide Staaten nicht kontrollieren. Der Menschenstrom wird entscheiden und das Handelsverbot ad absurdum führen. Auch wenn die Weltmacht immer noch Angst hat vor dem Gesichtsverlust und vor dem Eingeständnis einer 40 Jahre alten Fehleinschätzung: Das Handelsembargo hat Castro nicht gestürzt und wird es auch in Zukunft nicht tun.

Vielleicht geht sogar ein Traum in Erfüllung: „Bald“, meint Francisco Aruca und lehnt gelassen in seinem Ledersofa, „werden die Kuba-Amerikaner ihre US-Rente auch in Havanna ausgezahlt bekommen.“ Möglicherweise beschließt der Senat, in dem die Demokraten wieder die Mehrheit haben, demnächst ein entsprechendes Gesetz. „Und irgendwann“, plaudert Aruca weiter, „können die Rentner sich ein kleines Haus dort kaufen.“ Eines Tages, so geht der Traum weiter, wird auch Francisco Aruca ein Haus in Havanna besitzen, eines Tages wird er ein Hotel dort eröffnen. Ganz legal, versteht sich. Und der alte Generalsekretär Casanova wird immer noch im Supermarkt den Buckel krumm machen, um seine Plakate und Bronzestatuen zu bezahlen.